E-Ticket: HVV führt Prepaid-Karte mit Besonderheiten für den ÖPNV in und um Hamburg ein
Nach Mainz und Berlin hat auch Hamburg nun ein eigenes Prepaid-Bezahlsystem in den ÖPNV der Stadt und Agglomeration eingeführt. Während das System in Mainz aber schon bei der Einführung hoffnungslos veraltet war und die Berliner BVG-Guthabenkarte etwa nicht in S-Bahnen benutzt werden kann, obwohl es technisch eine Bankkarte ist, setzt der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) auf ein modernes, übergreifend funktionierendes System, das mit Bedacht eingeführt wurde.
Das fängt schon beim Verkauf an: Die Prepaid-Karte kann nämlich in Automaten erworben werden. Ein Verfahren, das für E-Tickets international ziemlich gewöhnlich ist. In Deutschland die Verkehrsbetriebe jedoch vor so enorme Schwierigkeiten stellt, dass es, soweit Notebookcheck es bekannt ist, kein großer Verbund bisher gewagt hat, E-Tickets in Automaten auszugeben und es deswegen eine zu erwähnende Besonderheit darstellt. Es gibt aber etwa den Kartenverkauf auch in Münster am Automaten.
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Auch im Kontext der drohenden Einstellung der Bargeldzahlung in Bussen beim HVV ist die leichte Verfügbarkeit besonders wichtig. Für die Ausgabe in Automaten geht der HVV zwei Wege. So sagte der HVV auf Nachfrage, dass sowohl Automaten nachgerüstet als auch neu beschafft werden.
Bei der BVG, die die Bargeldzahlung wieder einführen musste, waren die Guthabenkarten eigentlich nur für Berliner gedacht. Touristen bekamen sie nur mit Recherchefähigkeiten und wunderten sich, warum sie nicht in allen Verkehrsmitteln etwa am Flughafen akzeptiert wurde. Der Alleingang der BVG innerhalb des Verbundes ging nach hinten los.
Bargeldzahlung in Bussen wird bald eingestellt
Mit der Automatenausgabe ist diese Hürde im HVV genommen, was einen Verzicht auf Bargeldannahme in Bussen zumindest abfedert. Ende 2023 wird die Bargeldannahme in Bussen des VHH und der Hochbahn eingestellt. Die U-Bahn ("Hochbahn") fällt freilich nicht unter die Regelung. Dort kann an allen Stationen die Prepaid-Karte gekauft werden – auch mit Bargeld. Dazu kommen noch diverse personalbesetzte Verkaufsstationen. Der HVV verspricht zudem, dass an allen Stellen, wo die Karte erworben werden kann, diese auch aufgeladen werden kann.
Die Karte selbst hat keine Kosten. Allerdings gibt es eine Mindestaufladung von 5 Euro. Maximal 150 Euro können geparkt werden. Die Karte ist komplett anonym und nicht personengebunden, kann also auch weitergegeben oder in der Familie durchgetauscht werden. Mit der App "hvv Card Info" kann zudem das Guthaben unabhängig von der physischen ÖPNV-Infrastruktur geprüft werden.
Ein Wermutstropfen: Zwar akzeptieren die Busse nun mit der HVV Prepaid Card ein kontaktloses Zahlsystem, doch es ist ein Closed-Loop-System. Sprich Bankkarten via EMV Contactless und unter Google Pay oder Apple Pay hinterlegte Bankkarten können nicht in Bussen genutzt werden, wie der HVV auf Nachfrage sagte.
Zudem kann die HVV Prepaid Card noch nicht mit allen Verkehrsmitteln genutzt werden. Initial ist die Anwendung in Bussen der Hochbahn sowie VHH, KViP und RMVB nutzbar. In U-Bahnstationen funktioniert die Karte an den modernen Automaten mit großem Display. S-Bahn, Metronom und Regionalbahnen sollen perspektivisch folgen.
Technische Basis im Backend: Das E-Ticket Deutschland
Im Netz kamen früh Vermutungen auf, dass die HVV Prepaid Card auf Basis des E-Ticket Deutschland, auch bekannt als VDV KA oder VDV Kernapplikation, entwickelt wurde. Tatsächlich ist das teilweise der Fall, wie der HVV angab.
"Mit der hvv Prepaid Card haben wir erstmalig ein Account Based Ticketing umgesetzt. Das bedeutet in unserem Kontext, dass die mit der hvv Prepaid Card gekauften Fahrkarten nicht auf der Karte, sondern im Backend gespeichert werden. Für jede Karte wird im Backend ein Kartenaccount angelegt. Die eTickets im Backend basieren auf der VDV-KA-Struktur."
Auch das ist in Deutschland sehr selten. Zumal die Karten explizit keine E-Ticket-Deutschland-Karten sind. Der HVV gibt aber auch E-Ticket-Deutschland-Karten aus. Das Deutschlandticket des Verbunds gehört zur VDV KA.
Kleinere Verbünde, wie der Bodo-Verbund, setzen ähnliche Konzepte ein. Dort sind die (E-Ticket-Deutschland-)Karten aber mit Bankkonten verknüpft und erlauben auch den Kauf von Einzelfahrscheinen.
Wer sich erinnert, der weiß zudem, dass der HVV schon einmal mit Einzelfahrausweisen per HVV Card experimentiert hat. Diese Produkte wurden aber mittlerweile eingestellt. Die HVV Prepaid Card kann gewissermaßen als Nachfolger ohne Account-Zwang gesehen werden.
Account Based Ticketing vielleicht mit dem Deutschlandticket?
Interessant: Es gibt laut dem HVV Überlegungen, das Ticketverfahren auch mit dem Deutschlandticket zu verknüpfen. Dann könnte auf einem Deutschlandticket parallel Guthaben gespeichert werden, mit dem etwa 1.-Klasse-Upgrades oder andere Sonderfahrscheine gekauft werden könnten.
Vorbereitungen laufen bereits. Kaum genutzte HVV-Card-Produkte wurden deswegen schon abgeschaltet, um die Komplexität zu senken. Wenn das alles gelingt, wird auch eine Verknüpfung mit dem meinhvv-Profil möglich werden, so der HVV.
Was technisch in den Prepaid-Karten drinsteckt, konnte der HVV nicht beantworten. Notebookcheck hat zwar ein Deutschlandticket des HVV-Raums, das wird jedoch in Berlin genutzt. Es ist wohl davon auszugehen, dass der HVV keine SmartMX-Chipsätze von NXP einsetzt, zumal diese gerade aufgrund des Deutschlandtickets schwer zu bekommen sind. Diese Karten sind nach Notebookcheck-Informationen auch teuer. Sie gehören zudem weltweit zu den langsamsten Kartensystemen im Bereich der Smarttickets, insbesondere, wenn man sie mit japanischen IC-Systemen (Okica, Suica, Pasmo, etc) vergleicht.
Vernünftiges Smartticket-System in Deutschland
All dies zeigt, dass der HVV sich viele Gedanken um die Einführung gemacht hat und Einsatzszenarien wie die Nutzung durch Touristen mit bedacht hat. Das damit der Bargeldverkauf in Bussen auch eingestellt wird, bleibt aber ein Negativpunkt. Immerhin können Personen, die etwa keine Bankkarte haben – die kostet insbesondere für arme Menschen überraschend viel Geld – weiterhin Busfahrkarten kaufen.
Zwar kennt Notebookcheck.com nicht alle Verbünde und gegebenenfalls vorhandenen E-Ticket-Systeme in Deutschland, derer es sehr viele gibt. Doch soweit die Informationen reichen, dürfte der HVV zumindest von den größeren Verbünden das erste System haben, das mit internationalen Standards mithalten kann.
Mit dieser Vorreiterrolle ist Hamburg allerdings spät dran. Ein Beispiel: Das Oyster-System in London ist im Juni erst 20 Jahre alt geworden. In London wurde dafür eine Sonderedition des E-Tickets aufgelegt. Solche Sondereditionen sind in Hamburg nicht geplant, wie der HVV sagte. Aber die Infrastruktur wäre zumindest schon da.