Apple iPhone X und Face ID: Wirklich eine Smartphone-Revolution?
Der Star der Show am 12. September 2017 war mit Sicherheit nicht das ebenfalls neue iPhone 8, was in sozialen Netzen später mit einigen lustigen Meme's kommentiert wurde, die hier allerdings nicht Thema sein sollen. Uns interessiert viel mehr, ob das iPhone X tatsächlich die Smartphone-Zukunft zeigt, wie Apple gern behauptet, und ob das neue Gerät in ersten Hands-On-Berichten halten kann, was es verspricht. Wer zum iPhone X noch nicht ganz up2date ist, PhoneArena hat hier einen 8 Minuten-Zusammenschnitt der Apple-Keynote mit allen offiziellen Infos zum Gerät hochgeladen, wer er lieber schriftlich mag, kann auch unseren News-Bericht heranziehen.
Wirklich neu oder nur gut gestohlen?
Auch wenn vieles von dem, was Apple in der Keynote als innovativ bewirbt, für Apple-Fans tatsächlich neu ist, gab es alles schon zuvor, wie eine kurze Analyse zeigt. Das neue OLED-Display, bei Apple Super Retina-Display genannt, kennen Android-User von Samsung und anderen Herstellern, auch wenn Apple behauptet, dass die OLED-Technologie erst jetzt gut genug für Apple ist. Die annähernd randlose Front haben bekanntlich andere ebenfalls vorgezeigt, das Mi Mi von Xiaomi startete den Trend im letzten Jahr, zuvor gab es sogar schon einige dreiseitig randlose Sharp Aquos-Smartphones, die allerdings auf Japan beschränkt waren. In diesem Jahr gab es von Samsung's Galaxy S8 bis zum Essential Phone jede Menge weiterer Smartphones im 18:9-Format mit reduzierten Rändern.
Die rückseitige Dual-Cam bietet erstmals zweifache optische Bildstabilisierung, aber das kann auch schon das Galaxy Note 8. Womit wir bei den beiden wohl wichtigsten neuen Features des iPhone X wären, der dreidimensionalen Gesichtserkennung mit dem Namen Face ID, die über das True Depth-Camera-System an der Front sowie einige KI-Algorithmen Touch ID komplett ersetzt und neue Home Screen-Gesten, die mangels Home Button wohl zwingend nötig waren.
Face ID: Gut genug um Touch ID zu ersetzen?
Wir wollen nicht den Fehler begehen und Face ID mit der größtenteils sehr simpel gestrickten und unsicheren Gesichtserkennung auf Android-Phones der Vergangenheit vergleichen. Mit Sicherheit hat Apple hier deutlich mehr Aufwand getrieben, um sich nicht von Fotos und Masken überlisten zu lassen, sondern auch eine stabile Funktion in dunklen Umgebungen, mit aufgetragenem Make-Up, bei unterschiedlich langem Bartwuchs oder dem stetigen Altersprozess zu gewährleisten. Der mittlerweile berühmte Face ID-Fail von Craig Federighi während der Apple-Keynote, der zeigen soll, wie schlecht Face ID funktioniert, war vielleicht gar keiner. Hierzu ein kleines Skandal-Movie vom Youtuber Lew, besser bekannt als Unbox Therapy, für den die Sache eindeutig ein Fall von fehlgelaufener Gesichtserkennung war:
Face ID-Fail oder nicht?
Kritiker merken allerdings an, dass das iPhone-Display an dieser Stelle einen Pin-Code verlangte "um Face ID zu aktivieren". Das kennen iPhone-User bereits von Touch ID, wenn das Gerät beispielsweise neu gestartet wurde. Ein Neustart des Demogeräts vor dem Event wäre zwar ein peinlicher Fehler, sagt aber nicht zwingend etwas über die Zuverlässigkeit von Face ID per se aus, wie beispielsweise TheVerge schreibt. Weitergehende Unlock-Versuche auf einem Backup-Gerät funktionierten dann zuverlässig.
Update: Yahoo berichtet über eine Stellungnahme Apples zu dem Vorfall: Den Logs des untersuchten iPhones zufolge liegt "die Schuld" bei Mitarbeitern, die das Gerät vor der Präsentation vorbereitet aber nicht bemerkt hatten, dass Face ID versucht habe, ihr Gesicht zu scannen und dabei gescheitert sei. Nach einigen Fehlversuchen, verlangt Face ID aber wie Touch ID eine Eingabe des Passworts, was bei der Präsentation dann zum Fauxpas geführt habe.
True Depth Camera System: Kinect 2.0?
Wie gut oder schlecht Face ID in der Praxis funktionieren wird, müssen Tests der finalen iPhone X-Version sowie Langzeiterfahrungen der Benutzer zeigen. Beispielsweise dürfte die Gesichtserkennung wohl ins Schwitzen kommen, wenn ein Mountain-Biker mit Helm und Gesichtsschutz versucht das iPhone darüber zu entsperren. Da Touch ID als Alternative nicht mehr zur Verfügung steht, werden künftige Nutzer wohl häufiger den Pin-Code benutzen als ihnen vielleicht lieb ist. Das True Depth-Camera-System, das Apple als Innovation im Smartphone präsentiert, dürfte übrigens ein Verwandter der alten Kinect-Technologie sein, die Microsoft einst ebenfalls zum Entsperren des Windows-Desktops einsetzen wollte.
Wie Kinect projiziert der von Apple Dot-Projektor genannte Sender IR-Punkte auf das menschliche Gesicht und liest diese mit dem IR-Receiver wieder ein. Neu dürfte an dem System wohl vor allem die Verkleinerung in einen smartphonetauglichen Formfaktor und vermutlich die auf neuronalen Netzen basierenden Algorithmen sein, die sich Apple durch den Zukauf diverser Startups beispielsweise von RealFace in diesem Jahr oder PrimeSense in 2013 und FaceShift in 2015 praktisch eingekauft hat. Ob Apple damit die Kinect-Probleme bei der Erkennung von Gesichtern lösen konnte, beispielsweise bei Menschen mit dunkler Hautfarbe, wird die Zukunft weisen. Ganz unproblematisch ist Gesichtserkennung aber auch dann nicht, wenn sie gut funktioniert, schreibt beispielsweise TheVerge und weist auf legale Konsequenzen hin, die man mit einem Passwort nicht hätte.
Edward Snowden sieht Gefahren
Nicht ganz happy ist Security-Forscher und NSA-Aufdecker Edward Snowden mit der Entwicklung. In zwei Tweets lobt er zwar die Entscheidung Apples, einen Panik-Mode integriert zu haben, der Face ID temporär deaktiviert (das kennen iPhone-User bereits von Touch ID), kritisiert allerdings gleichzeitig, dass Gesichtserkennung zum Massenphänomen wird und in der Zukunft wohl vermehrt missbraucht wird. Apple versichert, dass die gespeicherten Scans, derzeit ist Face ID übrigens im Gegensatz zu Touch ID auf eine Person pro Gerät beschränkt, das Gerät nicht verlassen, nicht an Apple übertragen werden und eine aktive Mitarbeit des Besitzers erfordern (ohne die Augen zu öffnen klappt es beispielsweise nicht).
Neue Home Screen Geste von BlackBerry
Mangels Home Buttons bietet das iPhone X neue Gesten, die wichtigsten drei sind das Hochwischen um zum Home Screen zurück zu kehren, das Hochwischen und Halten zum Aufrufen des Taskmanagers und das Herunterwischen von rechts oben zum Aufrufen des Control Centers. Offenbar hat sich Apple hier an früheren BlackBerry-Geräten wie dem BlackBerry Z10 orientiert, welches das Hochwischen zum Home Screen bereits 2013 als Geste etablierte, wie einige BlackBerry-Fans auf Twitter überrascht anmerkten. Das folgende Video zeigt das recht deutlich:
Reaktionen von Youtubern und Tech-Seiten
Zum Abschluss wollen wir eine kurze Zusammenfassung einiger Meinungen in der Tech-Community liefern, die das Gerät im kurzen Hands-On bereits live gesehen gesehen haben. An Normalsterbliche liefert Apple das Gerät erst ab dem 3. November aus, hier dürfte Apple tatsächlich mit der Produktion ordentlich in Verzug sein. Auch der hohe Preis von hierzulande 1.149 Euro (64 GB) oder 1.319 Euro (256 GB) fliest hier natürlich in die durchaus unterschiedlichen Bewertungen mit ein.
Der beliebte Youtuber Marques Brownlee oder kurz MKBHD zeigt zu Beginn das iPhone 8 und die neue Apple Watch, konzentriert sich in seinem Video aber natürlich auf das iPhone X und dessen Bedienung. Hier wird rasch klar, dass der obere Ausschnitt für die Sensoren im vollflächigen OLED-Display nicht immer gut aussieht, beispielsweise wenn man in horizontaler Lage Video im Vollbild sehen will. Das Bild füllt zwar das ganze Display, auf einer Seite überlagert der Display-Ausschnitt aber einen Teil des Bildbereichs. Wenn man das nicht will, muss man sich alternativ mit dicken Rändern abfinden, wie die beiden Screenshots zeigen. Im Anschluss dann das gesamte 8-minütige Video von Marques.
Manchen gefällts ...
Dem Youtube-Star gefällt das iPhone X, wenngleich er den Aufruf von Siri über den Power-Button und das etwas dunkler wirkende Display als beim Galaxy Note 8 als potentielle Schwachstellen anmerkt. Engadget lobt vor allem die deutlich kompaktere Form des iPhone X, die gut in der Hand liegt und trotz des größeren Displays nicht so klobig wirkt. TechRadar merkt dazu allerdings an, dass die Ränder rund um das Display herum nicht ganz so dünn sind wie bei manchen Konkurrenten, ironisch dargestellt hat das Xiaomi in einem Bild, das auf der vergangenen Mi Mix 2-Präsentation gezeigt wurde. Hier wurde das iPhone X noch als iPhone 8 bezeichnet, da zu dem Zeitpunkt der Name noch nicht offiziell bekannt war:
... manchen weniger
Wenn wir schon in der Android-Ecke sind, lassen wir mal Android Authority zu Wort kommen. Unter dem Titel "Vier Gründe, warum ich kein iPhone X kaufen werde" erklärt uns Autor Mitja Rutnik, dass er das iPhone X nicht nur viel zu teuer findet, sondern auch nicht innovativ genug. "Alles schon mal dagewesen", der X-Faktor fehlt. Zudem gibt es keinen Fingerabdrucksensor, keinen Kopfhöreranschluss und das iPhone X gefällt ihm auch optisch nicht (unter anderem wegen des Displayausschnitts im Vollbild-Video, siehe oben).
Animojis sind überbewertet
Die von Apple's Craig Federighi im Rahmen der Keynote so begeistert vorgeführten animierten Emojis dürften natürlich primär ein jüngeres Publikum ansprechen. Samuel Axon von ArsTechnica lobt zwar OLED-Display und HDR-Fähigkeit, sieht bei den Animojis aber wenig Unterschied zu dem was normale Webcams in Spielen wie EverQuest II oder Star Citizen mit Avataren bereits lange ermöglichen. Zudem bleibt offen, ob Animojis in anderen Messengern abseits iMessage überhaupt funktionieren. Kids werden sie dennoch lieben. Update: Das Magazin Slate erklärte Animojis zu den beunruhigendsten Features des neuen iPhones.
Verhalten bis begeistert
Ja, so in etwa könnte man das Fazit der meisten Kollegen zusammenfassen. Sowohl ArsTechnica als auch Engadget und TheVerge geben ein durchaus positives Fazit der ersten Begegnung mit dem neuartigen iPhone. Insbesondere Apple-Fans dürfte es in diesem Jahr schwer fallen, sich für das iPhone 8 zu entscheiden, wo das iPhone X doch soviel mehr verspricht. Steve Kovach vom Business Insider erklärt seine Philosophie, "immer das beste Smartphone zu nehmen, das man sich leisten kann" und kommt zu dem Schluss, dass das iPhone X die 1.000 US-Dollar (hierzulande mindestens 1.149 Euro) wert sind.
Wer sich um Geld keine Gedanken machen muss, kommt vielleicht zu einem ähnlichen Schluss, das iPhone X gibt sicher ein gutes Gesamtbild ab und vereint viele bekannte Technologien, die es unter iOS bisher nicht gab in einem trendigen Formfaktor. Wer sich das iPhone X nicht leisten kann oder will, muss andererseits nicht traurig sein. Fast alles, was es kann, gibt es auch woanders. Vielleicht nicht in der gleichen Kombination und im Apple-typischen Design, dafür aber deutlich billiger. Im Anschluss sind, stellvertretend für viele andere noch drei Hands-One-Videos mit dem iPhone X verlinkt, eines davon in Deutsch und eines mit Unterschieden im Vergleich zum iPhone 8.
Update 18:30
Apple hat eine Stellungnahme zum Face ID-Fail abgegeben: Den Logs des untersuchten iPhones zufolge liegt "die Schuld" bei Mitarbeitern, die das Gerät vor der Präsentation vorbereitet hatten und nicht bemerkt hatten, dass Face ID versucht habe, ihr Gesicht zu scannen und dabei gescheitert sei. Nach einigen Fehlversuchen, verlangt Face ID aber wie Touch ID eine Eingabe des Passworts, was bei der Präsentation dann zum Fauxpas geführt habe. Weiters wurden einige Fehler im Text ausgebessert und zusätzliche Links/Bilder ergänzt.
Quelle(n)
www.theverge.com/circuitbreaker/2017/9/12/16296912/apple-iphone-x-face-id-demo-fail
www.pcworld.com/article/209708/Is_Microsoft_Kinect_Racist.html
www.theverge.com/2017/9/12/16298192/apple-iphone-face-id-legal-security-fifth-amendment
twitter.com/Snowden/status/907730980701700096
twitter.com/Snowden/status/907719439705141250
twitter.com/_inside/status/907964955743399941
crackberry.com/apple-brings-some-blackberry-10-flavor-iphone-x
www.androidauthority.com/four-reasons-why-wont-buy-iphone-x-800177/
www.businessinsider.de/is-the-iphone-x-worth-1000-2017-9
finance.yahoo.com/news/really-happened-apples-face-id-fail-onstage-181213050.html