Test Medion Erazer X1000 MR Glasses (Windows Mixed Reality)
Bei Windows Mixed Reality handelt es sich um eine von Microsoft entworfene Hardware- und Software-Plattform zur Darstellung von augmentierten bzw. virtuellen Inhalten, welche es Herstellern ermöglicht, ohne großen Entwicklungsaufwand entsprechende HMDs (Head-Mounted Displays) auf den Markt zu bringen, welche allesamt gewisse Grundkriterien erfüllen.
Neben Acer, HP, Dell und Lenovo hat auch Medion eine Mixed-Reality-Brille im Angebot. Mit Ausnahme der Dell-Edition, welche etwas teuer ist, im Endeffekt aber die gleichen Spezifikationen bietet, kostet die VR-Brille bei den genannten Firmen jeweils 449 Euro. Wie sich das Microsoft-Konzept in der Praxis schlägt und ob der Preis gerechtfertigt ist, überprüfen wir mit den Erazer X1000 MR Glasses, die uns Medion freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.
Anmerkung: Das Samsung-Pendant namens Odyssey bleibt in diesem Artikel bewusst außen vor, da einerseits mehrere Spezifikationen abweichen und es andererseits nicht in Europa veröffentlicht wird.
Lieferumfang
Beim Lieferumfang beschränkt sich Medion auf das Nötigste. Abgesehen von der VR-Brille stecken nur ein paar Informationsblätter im Karton des X1000-Headsets. Allerdings erhalten Käufer noch einen zweiten Karton, in dem sich die passenden Motion-Controller befinden, welche von vier AA-Batterien begleitet werden. Weiteres Zubehör wie Spielecodes, ein Reinigungstuch oder Datenträger entdeckt man nicht.
Technik
Auf den ersten Blick erinnern die Mixed-Reality-Brillen durchaus an die Konkurrenz von HTC und Oculus, wobei es im Detail diverse Unterschiede gibt. Angefangen mit dem Headset selbst, das nicht nur etwas leichter ist (vor allem im Vergleich zu Vive), sondern auch mit einem praktischen Klappmechanismus auftrumpft. Während man bei Vive und Rift zum Bedienen des PCs respektive Notebooks umständlich das HMD vom Kopf streifen muss, wird im Falle des Erazer X1000 und seiner Kollegen einfach das Visier hochgeklappt.
Die Befestigung an der Stirn funktioniert per Drehregler, was unserer Meinung nach eine sehr clevere Lösung ist, die leicht von der Hand geht und trotzdem stabil ist. Weniger stabil fällt leider das Scharnier zwischen Tragebügel und Display aus. Beim Blick nach unten lockerte sich beim Testgerät das Visier stets ein paar Millimeter, wodurch jede Menge Licht ins Innere einfiel. Generell ist die Lichtabschirmung trotz der Schaumstoffpolster am Rand nicht ganz so gut wie bei Vive und Rift.
Außerdem fehlt eine Möglichkeit, die Distanz zwischen Display und Augen zu verstellen. Als Brillenträger hat man oft das Gefühl, dass die Gläser an den Linsen des Headsets reiben. Entsprechend neigen Brille und Linsen schnell zum Verschmutzen. Der Pupillenabstand wird bei den Mixed-Reality-Produkten übrigens nicht per Regler am HMD, sondern in den Optionen von Windows eingestellt – eine etwas unglückliche Lösung, da sie tendenziell länger dauert (man muss in VR-Anwendungen erst den Desktop aufrufen oder den Schirm hochklappen und an den PC gehen).
Dass Mixed-Reality-Headsets keine Connector-Box wie beispielsweise die HTC Vive benötigen, ist zwar an sich gut, jedoch steigt dadurch auch die Gefahr von Beschädigungen am Computer (im Eifer des Gefechts herausgerissene Kabel können Ports zerstören). Letzteres Szenario sollte aufgrund der hohen Kabellänge von ca. vier Metern allerdings nicht oder nur extrem selten auftreten.
Angeschlossen werden die Mixed-Reality-Brillen per USB 3.0 und HDMI (via Adapter auch DisplayPort), wobei es für die volle Frequenz ein HDMI-2.0-Port sein muss. Maximal 90 Hz decken sich mit den Spezifikationen von Vive und Rift.
Produkt | Medion Erazer X1000 | HTC Vive | Oculus Rift |
---|---|---|---|
Display | LCD | OLED | OLED |
Auflösung pro Auge | 1.440 x 1.440 | 1.080 x 1.200 | 1.080 x 1.200 |
Frequenz | 90 Hz | 90 Hz | 90 Hz |
Sichtfeld | 105° | 110° | 110° |
Gewicht (inkl. Kabel) | 568 Gramm | 883 Gramm | 664 Gramm |
Anschlüsse | HDMI 2.0, USB 3.0, Audio | HDMI 1.4, USB 3.0, Audio | HDMI 1.3, USB 3.0, USB 2.0 |
integrierte Kopfhörer | nein | nein | ja |
externe Sensoren nötig | nein | ja | ja |
Visier klappbar | ja | nein | nein |
Preis (inkl. Controller) | 449 Euro | 699 Euro | 449 Euro |
Größere Abweichungen offenbaren sich bei den Displays. Während die Konkurrenz aus dem Hause HTC bzw. Oculus auf die teure OLED-Technologie vertraut, kommt bei den Mixed-Reality-Brillen nur klassische LCD-Technik zum Einsatz. Die Nachteile von LCDs merkt man zwar nicht in jeder Situation, auf Dauer fallen jedoch trotzdem diverse Schwächen auf. So wirken dunkle Inhalte durch den schlechteren Schwarzwert gräulicher. Der Kontrast ist ebenfalls schlechter, was zu einem blasseren Gesamtauftritt führt.
Hinzu kommt, dass das Sichtfeld deutlich kleiner als bei Vive und Rift erscheint. Obwohl der Unterschied auf dem Papier nur 5° beträgt, stellt sich ein weitaus stärkerer Bullaugen-Effekt ein, der zu einem gewissen Grad die Immersion zerstört. Sofern die Linsen nicht ideal ausgerichtet sind, entsteht zudem eine Unschärfe. Beim Blick nach außen verschwimmen feine Elemente wie Schriften generell, so dass man Textverarbeitung oder Internetsurfen in VR lieber vergessen sollte.
Über diese Makel kann die höhere Auflösung nur bedingt hinwegtrösten. Statt 1.080 x 1.200 Pixel sind es pro Auge 1.440 x 1.440 Bildpunkte. Wer jetzt hofft, dass dadurch die bei VR-Brillen typischen Pixelraster verschwinden, wird leider enttäuscht. Auch bei den Mixed-Reality-Modellen erkennt man eine Art Fliegengitter aus horizontalen und vertikalen Linien, die ebenfalls an der Immersion zehren. Gleiches gilt für die sichtbaren Subpixel. Der Verzicht auf eingebaute Kopfhörer hat uns ebenso gestört. Da man externe Headsets schnell vergisst, purzeln diese beim Abnehmen der VR-Brille gern auf den Boden, zumal weitere Kabel und mehr Gewicht anfallen.
Respekt gebührt Microsoft derweil für das interne Tracking des HMDs per Kameras. Sind bei der HTC Vive und der Oculus Rift externe Sensoren Pflicht, welche die Bewegung im Raum erfassen, funktioniert Mixed Reality ohne entsprechende Boxen, welche unnötig Platz wegnehmen und den Transport des gesamten VR-Systems bzw. dessen Einrichtung vor Ort erschweren.
Weniger gut ist das Tracking der Controller gelöst, welche allgemein nicht so angenehm in der Hand liegen wie bei HTC Vive und Konsorten. Da die Controller auf den Sichtbereich der HMD-Kameras angewiesen sind, geht der Kontakt bei ausschweifenden Handbewegungen oft verloren. Das Problem ist, dass die Controller beim Wiedereintreffen in den Sichtbereich nicht immer zuverlässig erkannt werden und stellenweise irgendwo in der (virtuellen) Luft festhängen oder vor sich hinruckeln. Entsprechend sollte man bei Spielen darauf achten, keine allzu großen Akrobatik-Einlagen durchzuführen.
Nachbessern könnte Microsoft auch bei der Kommunikation. Anstatt die Daten direkt mit der VR-Brille auszutauschen, kommunizieren die Mixed-Reality-Lösungen per Bluetooth 4.0 mit dem Computer. Während fast jedes halbwegs aktuelle Notebook Bluetooth 4.0 unterstützt, ist die Technik bei Tower-PCs durch das fehlende Funkmodul selten, so dass wieder Zusatz-Hardware anfällt. Dass man die Batterien der Controller nicht per USB-Kabel laden kann, ist ebenfalls nervig. Zwar hielten die mitgelieferten AA-Batterien über zwei Testtage durch, Umweltfreundlichkeit sieht jedoch anders aus.
Voraussetzungen | Minimal | Empfohlen |
---|---|---|
Betriebssystem | Windows 10 inkl. Creators Update | Windows 10 inkl. Creators Update |
Prozessor | Intel Core i5-7200U | Intel Core i5-4590 oder AMD Ryzen 5 1400 |
Grafikkarte | Intel HD Graphics 620 | Nvidia GeForce GTX 960/965M/1050 oder AMD RX 460/560 |
Arbeitsspeicher | 8 GB DDR3 | 8 GB DDR3 |
Massenspeicher | 10 GB freier Platz | 10 GB freier Platz |
Schnittstellen | 1x USB 3.0, 1x HDMI 1.4 oder DisplayPort 1.2, Bluetooth 4.0 | 1x USB 3.0, 1x HDMI 2.0 oder DisplayPort 1.2, Bluetooth 4.0 |
Pluspunkte gibt es unterdessen für die moderaten System-Anforderungen. Während HTC Vive und Oculus Rift mehr oder weniger einen High-End-PC voraussetzen, genügt den Mixed-Reality-Headsets theoretisch ein Office-Notebook mit Energiespar-CPU und im Prozessor integrierter Grafikeinheit (siehe Tabelle). Wer abseits von anspruchsloseren Aufgaben wie VR-Videos auch Spiele zocken möchte, sollte wenigstens einen Mittelklasse-Rechner besitzen. Als empfohlene Grafikkarten nennt Microsoft auf Nvidia-Seite eine GeForce GTX 960, GTX 965M oder GTX 1050 und auf AMD-Seite eine Radeon RX 460 oder RX 560.
Außerdem sind mindestens 8 GB DDR3-RAM und 10 GB leerer Speicherplatz auf der Festplatte nötig. Ohne Windows 10 inklusive Creators Update geht ebenfalls nichts. Unser Test wurde auf einem Alienware 17 R4 mit Core i7-7820HK, GeForce GTX 1080 und 32 GB DDR4-RAM durchgeführt, also auf einem waschechten Gaming-System.
Installation & Einrichtung
Wenngleich der Aufbau und die Installation bei HTC Vive und Oculus Rift kein Hexenwerk sind, begeistert Mixed Reality durch seinen viel schnelleren und komfortableren Einrichtungsprozess. Sobald man die VR-Brille via USB und HDMI mit dem Computer verbunden hat, ploppt nach kurzer Zeit automatisch ein Willkommensfenster auf, das uns in wenigen Schritten durch die Installation begleitet.
Nach einem kleinen Systemtest, der das Gerät auf die nötige Hard- und Software abcheckt, müssen nur knapp 2 GB Daten aus dem Internet gezogen werden. Daraufhin geht es direkt mit der Erläuterung und dem Setup der Controller los, welche im Batteriefach eine kleine Taste zum Bluetooth-Pairing enthalten, die nach der Aktivierung per Windows-Taste für mehrere Sekunden gedrückt werden muss.
Hat alles geklappt, möchte die Software wissen, ob man die VR-Brille nur im Sitzen respektive Stehen oder im benutzerdefinierten Raum verwenden will. Für den vollen VR-Genuss empfiehlt sich natürlich letzteres. Um die Grenzen optimal setzen zu können, sollte die gewünschte Fläche – wer hätte es gedacht – frei von jeglichen Objekten sein (Tische, Stühle etc.). Die Randbereiche des Raumes werden festgelegt, indem sie der Nutzer mit der VR-Brille vor der Brust abläuft (bei HTCs Vive nimmt man hierzu die Controller).
Das genaue System hinter der Erfassung ist nach aktuellem Stand nicht hundertprozentig klar. Es werden wohl bestimmte Fixpunkte als Grundlage genommen. Allerdings kam es im Test häufiger vor, dass Mixed Reality den abgespeicherten Raum trotz unveränderter Umgebung nicht mehr wiedererkannte, wobei meist ein Neustart der VR-Software half. Mit schlechten Lichtverhältnissen hat Mixed Reality ebenfalls seine Probleme. Im Dunkeln zocken hat bei uns kaum bis überhaupt nicht funktioniert.
Doch zurück zur Einrichtung: Nachdem der ganze Prozess, welcher nur ein paar Minuten dauert, fertig ist und man zum ersten Mal die VR-Brille aufsetzt, wirft Mixed Reality den Nutzer in das sogenannte Cliff House – eine zentrale Anlaufstelle, die sich optisch zwar kaum individualisieren lässt, an den Wänden jedoch mit diversen Programmen (Media Player, Chat, Webbrowser, Games, …) zugepflastert werden kann, was sehr praktisch ist und einen vollwertigen VR-Hub ermöglicht.
Anwendungen
Eines der größten Mankos von VR ist weiterhin die relativ dünne Software-Versorgung. Während HTC Vive immerhin auf das stark wachsende Angebot von Steam zurückgreifen kann, waren die Mixed-Reality-Produkte beim Verkaufsstart auf den Microsoft Store beschränkt, dessen VR-Portfolio sich als extrem mager entpuppt.
Eine kurzer Weltraumausflug hier (Hello Mars), ein netter Kurzfilm dort (The Rose and i): Selbst die kostenlosen Anwendungen halten sich in Grenzen. Intensiver VR-Spaß für mehrere Wochen, Monate oder Jahre ist definitiv nicht gewährleistet. Ohne das herausragende und speziell für Virtual Reality entwickelte Superhot VR, welches jedoch 25 Euro kostet, hätten wir uns schon am ersten Tag gelangweilt.
Superhot VR zeigt indes eindrucksvoll, was Virtual Reality kann und wie ein Spiel passend umgesetzt werden muss. Wenn man sich im realen Raum vor virtuellen Kugeln oder Fäusten wegduckt und gleichzeitig Gegenstände auf die Gegner wirft oder selbst zur Schusswaffe bzw. den Händen greift, entsteht ein derartiges Mittendringefühl, dass man sich die Frage stellt, wie man in der Vergangenheit ohne VR auskommen konnte und wann es endlich am Massenmarkt Erfolg hat.
Durch VR wird ein bisher ungekanntes Level an Glaubwürdigkeit und Realismus erreicht, das alte Diskussionen wie die „Killerspieldebatte“ neu aufleben lässt. Wären die Figuren in Superhot nicht durch rote Kristallformen stilisiert dargestellt, hätte der Autor echte Hemmungen, Gegner zu erschlagen oder zu erschießen, was wiederum für die Qualität von VR spricht.
Doch Superhot hin oder her: In Sachen VR ist der Windows Store noch ein Trauerspiel. Zum Glück wurde für November die Preview für Valves Steam VR angekündigt (wir berichteten), wodurch sich das Problem von allein lösen dürfte. Steam verfügt über eine deutlich größere und bessere VR-Datenbank – seien es nun kostenlose oder kostenpflichtige Titel.
Kleiner Tipp für Nutzer, die VR-Videos aus dem Internet oder von der Festplatte genießen möchten: Für VR-taugliche Filme, die man am Doppelbild oben/unten (360°) bzw. links/rechts (180°) erkennt, ist ein spezielles Programm nötig. Bei Steam empfiehlt sich das Tool Virtual Desktop, im MS Store sind wir auf den Moon VR Video Player gestoßen, der allerdings hin und wieder abstürzte.
Apropos Abstürze: Ganz ausgereift ist Mixed Reality im Augenblick noch nicht. So reicht die Palette von schwarzen Bildschirmen über fehlerhafte Kamerapositionen in Spielen bis hin zu sich selbst beendenden Anwendungen, wobei hier natürlich auch die Software-Entwickler Schuld sein können. Bei der Kombination aus HTC Vive und Steam VR hatten wir jedenfalls weniger Ausfälle.
Fazit
Nimmt man alle Aspekte zusammen, bewegen sich Oculus Rift, HTC Vive und die VR-Brillen auf Basis von Microsofts Mixed Reality ungefähr auf Augenhöhe. Zwar existieren im Detail durchaus größere Hardware-Unterscheide, das Gesamterlebnis ist jedoch vergleichbar. Egal, ob man nun die Microsoft-Lösung, welche vor allem beim Komfort punktet (Aufbau, Einrichtung, Gewicht usw.), oder die Systeme der Konkurrenz präferiert, welche dank OLED-Display und externem Tracking ein besseres Bild und eine genauere sowie zuverlässigere Bedienung ermöglichen, sollte man sich den Kauf einer VR-Brille auch 2017 zweimal überlegen.
Für unseren Geschmack sind selbst die Mixed-Reality-Headsets noch recht schwer und auf Dauer unangenehm, ganz zu schweigen vom eingeschränkten Sichtfeld und dem markanten Pixelraster (inkl. Subpixel), das erst ab einer Auflösung von 2160p pro Auge verschwindet oder so gering ist, dass es nicht mehr stört. Das überschaubare Software-Angebot dürfte viele Interessenten ebenfalls abschrecken. Schließlich sind knapp 450 Euro für das Mixed-Reality-Paket, sprich HMD und Controller, eine Menge Geld, die auch in Unterhaltung aufgewogen werden möchten. Persönlich würde der Autor frühestens bei der nächsten Generation der VR-Brillen zuschlagen, die hoffentlich günstiger, leichter und kompakter sind sowie schärfer auflösen.
Aktuell ist und bleibt Virtual Reality – trotz des jetzt schon beeindruckenden 3D-Gefühls – ein relativ teures Spielzeug für Enthusiasten und Technik-Fans.