Geräteinitiative „Digitales Lernen“: Oliver Book A1 versagt in Tests - Neuausschreibung?
Österreichs Schulen werden digital, der Weg dahin gestaltet sich allerdings überaus holprig. Nach den Wirren im Segment der Windows-Laptops, wo mittlerweile "gleichwertige" Notebooks in unterschiedlichsten Größen- und Gewichtsklassen an die Schulen ausgeliefert werden, nicht aber der eigentliche Ausschreibungssieger (wir berichteten), kündigt sich nun der Ausfall eines weiteren Siegergerätes an. Das im Spätherbst letzten Jahres vorgestellte Onda Oliver Book, angeboten von A1 Telekom Austria, ging als Gewinner der zugrundeliegenden Ausschreibung hervor (siehe unser Artikel).
Zwischenzeitlich wurden einzelne Geräte an erste Schulen ausgeliefert und dort einem umfangreichen Praxistest unterzogen. Das Urteil fällt vernichtend aus, wie uns von verschiedenen Schulen berichtet wird. Das Oliver Book A1 versagt in zahlreichen im Schulalltag essenziellen Tasks, von einem Einsatz der Geräte wird gar "dringend abgeraten".
In den Berichten über die Testläufe kristallisieren sich vor allem Probleme mit dem Touchdisplay des Tablets im Zusammenspiel mit dem mitgelieferten Eingabestift, eine eklatante Leistungsschwäche des eingesetzten Pentium SoC, ein insgesamt zu hohes Systemgewicht, sowie Bedenken hinsichtlich der Robustheit aufgrund offensichtlicher Verarbeitungsschwächen als Hauptkritikpunkte heraus.
Display mit Stifteingabe für handschriftliche Notizen ungeeignet
In puncto Touchdisplay scheint das Tablet für einen Einsatz im Zusammenspiel mit dem mitgelieferten Eingabestift ungeeignet. Testverantwortliche berichten unabhängig voneinander von einem erheblich verzögerten Ansprechverhalten bei Stifteingabe, dem Fehlen von Druckstufen bzw. einer Neigungserkennung sowie einer Handballenerkennung. Beim mitgelieferten Eingabestift dürfte es sich um einen kapazitiven Pen handeln, der den Berichten zufolge für handschriftliche Notizen ungeeignet ist, eine essenzielle Fähigkeit eines Tablets und vermutlich ausschlaggebender Grund zahlreicher Schulen sich überhaupt für diese Gerätekategorie entschieden zu haben (vgl. "Wie unterscheiden sich Eingabestifte für Tablets und Smartphones").
Schwachbrüstiges System scheitert an Videokonferenzen
Einig waren sich die EDV-Beauftragten auch was die Performance des Systems angeht. Getestet wurden verschiedene praxisnahe Szenarien, etwa Videokonferenzen mit Microsoft Teams (mit wenigen Teilnehmern), teils mit parallelen Fenstern, um Inhalte notieren oder nachschlagen zu können. Gerade in Zeiten von Homeschooling stellt dies einen besonders wichtigen Aspekt dar. Das Ergebnis war ernüchternd: Das Oliver Book war mit diesem Szenario maßlos überfordert. Eingaben waren teils nicht mehr möglich, ein stockendes System, das eine sinnvolle Bedienung unmöglich macht, das Resultat. Überhaupt schien Multitasking das Windows-Tablet rasch in die Knie zu zwingen.
In der Ausschreibung wurde als Mindestausstattung ein Intel Pentium Gold 4425Y gefordert. Dabei handelt es sich um einen Zweikernprozessor der Kaby-Lake-Reihe aus dem Jahr 2017. Der nunmehr im Onda Oliver Book eingesetzte Pentium Silver N5030 entstammt bereits der neueren Gemini-Lake-Serie aus dem Jahr 2019 und verfügt über vier native Rechenkerne und ist damit als leistungsstärker und insbesondere für Multitasking-Anwednungen besser geeignet einzuordnen. Da aber selbst dieser an den im Unterricht geforderten Szenarien scheitert, zwingt sich die Frage auf, nach welchen Kriterien die Mindestanforderungen hinsichtlich CPU im Leistungsverzeichnis gewählt wurden. Ein Praxistest mit der veralteten 4425Y-CPU hätte wohl schnell aufgezeigt, dass diese Plattform für den Schuleinsatz nicht ausreichend leistungsstark ist.
10-Zoll-Tablet mit Laptop-Gewicht
Kritik muss das Onda Oliver Book A1 auch hinsichtlich Gewicht und der gebotenen Robustheit einstecken. Auch wenn das Gewicht der Tableteinheit mit 595 Gramm die Ausschreibungsvorgabe von 600 Gramm unglaublich gut trifft, stellt dies im Praxiseinsatz nur die halbe Wahrheit dar. Mit dem zusätzlich benötigten Tastaturcover, das nochmals stolze 540 Gramm auf die Waage bringt, verdoppelt sich das Gewicht des Gerätes, inklusive Eingabestift und für einen sicheren Betrieb notwendigen Netzteil bringt die Lösung Windows-Tablet rund 1,3 Kilogramm auf die Waage oder besser gesagt in den Rucksack der Schüler. Ein Systemgewicht inklusive aller benötigten Komponenten wird von der der Ausschreibung zugrunde liegenden Leistungsbeschreibung allerdings nicht berücksichtigt. Dass es durchaus auch leichter geht, zeigt ein Blick auf mögliche Alternativen: Das Surface Go 2 kommt etwa auf ein Systemgewicht (Tablet+Tastaturcover+Netzteil) von rund 950 Gramm.
Wenig glücklich waren einzelne Beauftragte an den Schulen auch mit der gebotenen Gehäusequalität. Insbesondere das Tastaturdock erwies sich als sehr anfällig für Verwindungen, das Gerät neigt zum Kippen, obwohl der Öffnungswinkel bereits eingeschränkt ist. Auch das A1-Logo auf dem Tablet sorgte für Unverständnis. Warum soll ein zusätzlich aufgebrachtes Logo eines bekannten Telekom-Dienstleisters (der hier nur als Händler auftritt) neben dem eigentlichen Herstellerlogo, welches in der Regel direkt in das Gehäuse eingearbeitet wird und nicht entfernbar ist, rund 60.000 Schulgeräte zieren?
Auslieferung gestoppt, Sachverständiger prüft
Die wenig erfreulichen Ergebnisse der ersten Testläufe an den Schulen scheinen nun für Bewegung zu sorgen. Erst kürzlich wurden betroffene Schulen darüber informiert, dass sich die Auslieferung vorerst verzögere und die Tauglichkeit der Geräte erneut überprüft werde:
"Wir möchten darüber informieren, dass im Zuge durchgeführter Testläufe vor der breiten Auslieferung der Tablets an die Schülerinnen und Schüler Bedenken hinsichtlich der Leistungsfähigkeit bzw. möglicher Funktionalitätsprobleme geäußert wurden. Das BMBWF hat umgehend einen externen Sachverständigen mit der Prüfung der Geräte im Hinblick auf mögliche Funktionalitätsprobleme sowie die Leistungsfähigkeit der Hardware beauftragt.
Es bestehen aktuell offene Fragen, die vor einer Auslieferung bzw. Ausgabe an Schülerinnen und Schüler zu klären sind. Wir ersuchen um Verständnis und dürfen versichern, dass diese Verzögerung im Sinne der Qualitätssicherung und im Interesse aller Beteiligten ist, insbesondere im Interesse der Schülerinnen und Schüler, deren Erziehungsberechtigten und der Schulen. Dem BMBWF ist es natürlich ein großes Anliegen, die erwarteten Geräte so rasch wie möglich bereitzustellen. Über die nächsten Schritte wird umgehend informiert, sobald sich diese ableiten lassen."
Die Erkenntnis, dass die georderten Geräte für den eigentlichen Einsatz möglicherweise überhaupt nicht geeignet sind, kommt reichlich spät. In den Schulen laufen seit Monaten die Vorbereitungen für den Einsatz der zugesagten Geräte, entsprechende Infrastruktur und Hardware wurde bereits angeschafft, teils auch mit laufenden Kosten. Überhaupt stellt sich die Frage, wie es möglich ist, dass ein den definierten Ausschreibungskriterien grundsätzlich entsprechendes Gerät im tatsächlichen Einsatz offenbar auf ganzer Breite versagt.
Zielgerichtete Tests und eine fundierte Bedarfserhebung hätten bereits im Vorfeld der Ausschreibung die tatsächlichen Anforderungen darlegen und das Leistungsverzeichnis demzufolge angepasst werden können. Die der aktuellen Ausschreibung zugrunde liegenden Anforderungen im Segment der Windows-Tablets scheinen nach aktuellem Erkenntnisstand ungeeignet für den geplanten Einsatz und stellen diese in Frage.