Vor-Ort-Bericht | GTX-A: Eine Fahrt mit Seouls High-Speed- und High-End-U-Bahn
Eine Reise durch die südkoreanische Hauptstadt Seoul ist mitunter mühselig. Die Metropolregion hat eine riesige Ausdehnung. Zählt man den Hauptstadtflughafen Incheon mit und will bis in Südosten der Stadt, unser Ziel wäre Suseo, ist man mit dem an sich schon schnellen Metro-System gut und gerne zwei Stunden unterwegs. Wer noch weiter will, denn die Metropolregion endet dort noch längst nicht, ist noch länger unterwegs. Rund die Hälfte der Einwohner Südkoreas wohnen in dieser Region.
Umso wichtiger ist ein leistungsfähiges ÖPNV-System. Seoul hat dabei ein noch recht junges System, vor allem, wenn man das mit Europa vergleicht. Die erste Metro-Linie ist gerade einmal 50 Jahre alt. Man könnte sagen, in Sachen U-Bahn-Systemen ist Südkorea noch ein Anfänger. Wer aber einmal in den Genuss einer südkoreanischen U-Bahn gekommen ist, der weiß, wie fortgeschritten und zuverlässig das System ist. Es gehört zum technischen Aufstieg des ostasiatischen Landes wie Fernseher, Smartphones, Chips, Tablets oder Notebooks.
Im Bereich der U-Bahnen kommt nun ein weiteres, nagelneues System hinzu: der Great Train Express mit seiner ersten Linie A.
In Suseo geht es los
Das eingangs erwähnte Suseo nennen wir aus einem guten Grund. Es ist das (vorläufige) Ende des Great Train Express mit der Kennung GTX-A. Gleichzeitig endet hier der Super Rapid Train SRT, Südkoreas zweites Hochgeschwindigkeitsfernverkehrssystem neben dem KTX (Korean Train Express). Letzterer endet in Seoul Station, während die SRT-Züge nach Seoul-Suseo fahren. Das SRT-System ist auch noch recht neu und so erfolgreich, dass die Züge regelmäßig ausverkauft sind, während man noch Plätze nach Seoul buchen kann.
Doch zurück zur U-Bahn. GTX-A ist Seouls neue Hochgeschwindigkeits-U-Bahn, auch wenn das begriffstechnisch etwas schwierig ist. Die Züge gehören zum Nahverkehr, fahren aber mit bis zu 180 km/h. Die Designgeschwindigkeit liegt sogar bei 198 km/h. Südkoreas Metrosysteme neigen zudem dazu auch S- oder Regionalbahnaufgaben zu übernehmen.
Der Einfachheithalber nennen wir die GTX-A-Züge U-Bahnen, denn die Züge fahren überwiegend unterirdisch und fühlen sich auch wie U-Bahnen an, wie man sie aus Berlin, Hamburg, München, Nürnberg oder Wien kennt.
Die getestete Strecke des GTX-A zwischen Dongtan im Süden von Seoul und Suseo verläuft dabei komplett unterirdisch. Bisher gibt es mit Seongnam nur einen Zwischenhalt, der aber Verbindungen mit anderen Metro-Linien schafft. Nennenswert ist dabei, mit einem weiteren Umstieg, die Verbindung nach Gangnam (dort wo sich Samsung Town findet) über die DX Line. Die gesamte Strecke des GTX-A ist fast 40 Kilometer lang, wird vom Zug in rund 20 Minuten geschafft und kostet 4.450 KRW oder etwas über 3 Euro. Das ist damit deutlich günstiger als die Fahrt mit dem SRT-Fernverkehr (7.500 KRW).
Der GTX-A gehört übrigens zum integrierten Fahrpreissystem, weswegen wir für unsere Fahrt nach Dongtan nur 2.550 KRW zahlen mussten.
170 km/h in der Spitze
Dabei fuhr der GTX-A bei unserer Testfahrt nach Dongtan maximal 170 km/h schnell. Es war zu erkennen, dass hier noch einige Reserven vorhanden waren. Die hohe Geschwindigkeit ist dabei durchaus notwendig, denn die U-Bahn teilt sich auf dem Abschnitt größtenteils die Gleise mit dem Hochgeschwindigkeitsverkehr SRT, der aber in Dongtan auf eigenen Gleisen hält, also überholen kann. Für den GTX wurden laut Kojects tatsächlich bisher nur 9 km extra gebaut und eröffnet. In Suseo endet der SRT in einem vom GTX-A-Bahnhof getrennten Kopfbahnhof und schafft die Strecke in 17 Minuten. Auf dem Rückweg war der GTX-A übrigens deutlich langsamer und erreichte nur 140 km/h zwischen Dongtan und Seongnam, wo wir den Zug verliesen. In Kürze wird noch eine Station dazwischen eröffnet (Guseong), was die geringen Fahrgeschwindigkeiten erklären dürfte. Auf dem Weg nach Dongtan wartete der Zug übrigens überraschend lange in Seongnam auf die Weiterfahrt. Das deutet darauf hin, dass die Fahrpläne den neuen Bahnhof bereits berücksichtigen und sich nicht mehr ändern werden.
Der GTX-A übernimmt zudem durchaus die Feinverteilung. Durch den Halt eines etwa su Busan kommenden Schnellzuges SRT in Dongtan können Fahrgäste direkt in den GTX umsteigen, der auf einem anderen Gleis am selben Bahnsteig hält. Dafür müssen nur Ticketgates durchschritten werden.
Wir gehen sogar davon aus, dass so mancher Fahrgast auch mit einem Ziel in Seoul bereits in Dongtan umsteigen wird. Zwar ist der SRT drei Minuten schneller, doch manch ein GTX-A ist so getaktet, dass er dem SRT hinterherfährt.
Der (zukünftige) Umstieg in Suseo vom SRT zum GTX, der in einer späteren Phase in die Innenstadt von Seoul fahren wird, ist wesentlich zeitintensiver als in Dongtan, da der SRT in einem Kopfbahnhof endet während der GTX-A ein paar hundert Meter weiter und einige Stockwerke tiefer weiter gen Seoul fahren soll. Ein Umstieg in Suseo dauert deutlich länger als fünf Minuten.
Dagegen spricht allerdings ein wenig das Fahrgefühl. Hochgeschwindigkeitszüge sind normalerweise sehr komfortabel und leise. Das kann man vom GTX-A nicht sagen. Der "rattert" wie eine U-Bahn über die Gleise und macht bei Tempo 170 Geräusche, die man von U-Bahnen mit Tempo 60 bis 70 gewohnt ist. Es wackelt zwar nicht übermäßig, doch die Ruhe eines SRT erreicht man damit nicht.
Dazu kommt hier und da das Verspüren von Druckunterschieden, was uns ein Gefühl gab, als wäre die GTX-Garnitur nur druckertüchtigt und nicht druckdicht. Wir haben den Druck etwa recht deutlich kurz vor der Einfahrt in Dongtan gespürt. Sonst aber nicht oder nur gering. Gegenzüge lösen das übrigens nicht aus und man merkt die Druckwelle des Gegenzugs auch nicht durch einen Stoß am eigenen Zug.
Fast keine Sitzplätze bei 170 km/h
Dass die Fahrzeuge dem Nahverkehr zuzuordnen sind erkennt man auch am Innenleben. Sitzplätze gibt es kaum. Ein erheblicher Teil ist zudem für Fahrgäste vorbehalten, die ihn brauchen inklusive extra Sitzen für Schwangere. in Südkorea ist das üblich und solche Sitzplätze bleiben auch bei vollen Zügen ziemlich konsequent frei, solange etwa kein älterer Fahrgast im Waggon ist.
Die Längsbestuhlung lässt dafür sehr viel Platz für Stehplätze. Insgesamt passen in eine Garnitur stolze 1.062 Fahrgäste, obwohl der achtteilige Zug von Hyundai Rotem nur 163.5 Meter lang ist. Zur Einordnung: Ein ICE 4 hat bei 400 Metern Länge eine maximale Kapazität von 918 Sitzen plus Stehplätze, die aber normalerweise nicht genutzt werden.
Südkoreanische U-Bahnen sind auf Effizienz getrimmt. Sitzplätze gehören nicht dazu.
Das Interieur gefällt trotzdem. Es ist hell und modern. Die Sitze selbst sind aus Plastik und in Ordnung. Schön sind Trenner zwischen den Sitzplätzen, was eine effizientere Nutzung der Sitzplätze ermöglicht und ausuferndes Sitzen verhindert, was aber in Südkorea sehr selten passiert. Seltsam wirkt aber der Teppich in der Zuggarnitur. So etwas haben wir in einer U-Bahn noch nicht gesehen.
Was fehlt sind allerdings Haltestangen in der Mitte. Die Wagenkästen des GTX-A sind nämlich sehr breit. Wer mittig steht, muss wohl im Zweifelsfall andere Fahrgäste nutzen. Alternativ ist jede zweite Halteschlaufe etwas länger, so dass man durchgreifen kann. Sonderlich stabil steht man dann aber nicht. Wobei ein stabiles Stehen kein Problem sein sollte, zumal es bei Fahrgästen in (Süd-)Ostasien üblich ist beim Stehen Filme auf dem Smartphone zu schauen ohne sich festzuhalten.
Vorbildliche digitale Anzeigen
Im Inneren gibt es zudem ein gutes Digital-Signage-System. Über und zwischen den Türen findet sich längs jeweils ein sehr breites Display. Insgesamt zehn LC-Displays sind verbaut worden. Dazu kommen noch zwei LED-Anzeiger am Wagenende.
Durch die kluge Positionierung stören die Displays nicht und sind von vielen Positionen aus sichtbar. Nur wer sitzt hat gegebenenfalls Fahrgäste vor sich. Stehplätze gehen durch die montierten Displays übrigens nicht verloren, da sie direkt ins Design eingepasst wurden. Wer die Berliner U-Bahnen kennt weiß, dass für Displays oft Stehplätze geopfert werden müssen. Die Integration von Displays in einen Waggon stellt viele Verkehrsbetriebe vor Herausforderungen, so dass diese lieber im Raum platziert werden, was aber auch die Wartung vereinfacht. Südkorea geht eher den Weg des Komforts.
Auch das, was digital auf die Anzeigen gespielt wird, gefällt. Dank des breiten Displays lässt sich die gesamte Linie samt Stationsnamen mehrsprachig darstellen. Eine Animation zeigt wo der Zug ist und wo er sich hinbewegt. Gleichzeitig gibt es eine Angabe der Geschwindigkeit. Allerdings nur, wenn der Zug wirklich schnell unterwegs ist. Wer technikbegeistert ist, der freut sich jedenfalls über die Anzeigen.
Im Wechsel gibt es zudem eine Anzeige aller Waggons und den Ausstiegspositionen des nächsten Bahnhofs. Für jeden Waggon gibt es etwa die Anzeige, ob dort eine Treppe oder ein Fahrstuhl zu finden sein wird. So können sich Fahrgäste sofort optimal positionieren. Sei es beim Einsteigen oder auch indem durch den Zug gelaufen wird.
Das ist besser als die meisten anderen Bahnsysteme in Seoul. Tatsächlich ist die Seoul Metro im Inneren der Waggons bei den Anzeigen eher einfach gestrickt. Das ist aber sehr von der Linie und der verwendeten Baureihe abhängig. Manche Linien, wie die DX Line, haben sogar Gimmicks wie die Anzeige des nächsten Bahnhofs in Metern. Das kann der GTX-A (noch?) nicht.
Im Kontext anderer ostasiatischer U-Bahn-Systeme, wie etwa in Japan oder in Taiwan, bewegt sich der GTX-A auf einem ähnlich hohen Niveau.
Die Bahnhöfe
Ähnlich hochtechnisch sind die Bahnhöfe. Wobei man im Kontext ostasiatischer Bahnsysteme hier von üblichem Standard sprechen kann. In Europa ist das aber oft ungewöhnlich.
Manche Anzeigen und Beschilderungen erfordern aber Erfahrungen oder eine Übersetzungs-App. Es ist selten, aber insbesondere der Digital-Signage-Bereich ist meist nur in koreanischer Sprache auf den Bahnhöfen. Die meisten gedruckten Anzeigen hingegen mindestens auch in englischer Sprache und von hoher Qualität.
Die Anzeige des nächsten ankommenden Zuges braucht daher zumindest ein Verständnis für das koreanische Zeichensystem und Übung. Manches erschließt sich dann aus dem Kontext, auch wenn man weder Sprache noch Hangul kennt. Zugegebenermaßen wird der GTX-A derzeit für Touristen wohl kaum von Interesse sein. Es ist also noch Zeit für die Optimierung.
Sonderlich große Hürden gibt es aber auch nicht. Die Fahrkartenautomaten sind viersprachig. Englisch ist dabei. Die Fahrkarten lassen direkt kaufen. Allerdings braucht man Bargeld, denn Kreditkarten werden grundsätzlich nicht angenommen. Schön: Eine T-Money-Karte gibt es leer für 3.000 Won als Träger und lässt sich mit Bargeld direkt aufladen. T-Money ist gleichzeitig ein wichtiges kontaktloses Zahlungsmittel in Südkorea. Man kann damit an vielen Orten bezahlen. Das ist in etwa vergleichbar wie die Suica oder Pasmo in Japan, der Easycard in Taiwan oder der Octopuscard in Hong Kong. In (Süd-)Ostasien ist die Nutzung kontaktloser Fahrkarten, die gleichzeitig Zahlungsmittel sind, sehr verbreitet.
DX Line vs. GTX-A
Die GTX-A ist nicht Seouls erste besonders schnell designte U-Bahn. Die DX Line, auch Sinbundang Line genannt, ist ebenfalls sehr schnell. Denn die autonom fahrenden DX-U-Bahnen fahren mit bis zu 90 km/h mit wenigen Halten. Auf manchen Abschnitten sind mehr als neun Kilometer zwischen zwei Stationen zurückzulegen.
Auch diese U-Bahn, die erst wenige Jahre alt ist, sorgt also dafür, dass die Agglomeration von Seoul schnell nach Gangnam und ein bisschen weiter kommt. Später soll sie man nach Seoul Station verlängert werden. Das Projekt wurde aber verzögert – weil man eventuell die Infrastruktur der GTX-Linien verwenden will.
Fülle der Züge und weitere Pläne
Bisher sind die GTX-A-Züge noch recht leer. Vor allem in Randzeiten, wenn nur zwei Mal pro Stunde ein Zug fährt. Morgens gibt es aber eine Stunde, in der vier Züge fahren. Man kann sich trotzdem bereits jetzt vorstellen, wie voll die Züge noch werden. Dongtan ist ein großes Entwicklungsgebiet, hier werden sich also einige Menschen ansiedeln. Die weitere Fortführung in den Innenbereich von Seoul wird zudem sicher noch weitere Fahrgäste anlocken.
Südkorea baut oft Bahnstrecken ehe der Beweis erbracht werden kann, dass dort viele Fahrgäste fahren werden. Ein Konzept, dass in Deutschland beispielsweise nicht oft angewandt wird. So wird die Intel-S-Bahn erst Jahre nach der Eröffnung des Werks fahren. In Magdeburg hofft man, dass das gut bezahlte Intel-Personal dann die bereits gekauften Autos wieder stehen lässt. Tesla kümmert sich um den Werksverkehr mit Akkuzügen sogar selbst.
Das Potenzial wird der GTX-A aber erst mit den nächsten Verlängerungen passieren. Seoul Station wird wohl von Dongtan über Suseo im Jahr 2026 erreichbar sein. Ein nördliches Segment ab Seoul Station soll noch dieses Jahr in Betrieb genommen werden. GTX-A wird also zunächst zweigeteilt fahren. Dazwischen entsteht in Samseong ein weiterer wichtiger Bahnhof, denn hier ist unter anderem das Messegelände (Coex) sowie der In-Town-Check-In-Bereich für den Flughafen Incheon zu finden.
Samseong Station wird übrigens manchmal in der alten Umschrift Samsung Station geschrieben, hat aber nichts mit dem Smartphone-Hersteller zu tun, sondern komplexen Regeln der Umschrift.
Weiteres Potenzial hat der GTX-A in der Innenstadt. Während die Fahrzeiten von Dongtan nach Suseo sich schon drastisch verringerten, wird der GTX-A auch die Fahrzeiten innerhalb Seouls deutlich reduzieren. Das wiederum dürfte für Entspannung der zahlreichen Metro-Linien, die die Stadt durchziehen, sorgen.
Dabei ist der GTX-A nur der Anfang. Am GTX-B, der Incheon näher an die Innenstadt bringen soll, wird bereits gearbeitet. Perspektivisch kommt mit dem GTX-C eine weitere Hochgeschwindigkeits-U-Bahn dazu. Parallel dazu wird auch das weitere Metro-Netz massiv ausgebaut. In der Metropolregion Seoul vergeht kaum ein Jahr ohne Neuerungen im Netz der Seoul Metro. Die nächsten Jahre bleiben also spannend.
Quelle(n)
Kojects.com / Eigene Recherchen