“Diggi” ausprobiert: Berlins neuer Haltestellenkubus ist ein Digitalisierungs- und Usability-Fail
Die Berliner Landesbetrieb BVG modernisiert seine Bus-Haltestellen. In Zukunft sollen verstärkt die "Diggi" genannten Haltestellensäulen zum Einsatz kommen. Diggi ist laut BVG "der digitale Info-Buddy" in einer hohen Kubusform, wie sie schon seit Jahrzehnten im Berliner Stadtbild zu sehen ist. Vor allem wichtige Bushaltestellen sind damit ausgestattet.
Bisher waren dies aber nur aufwendigere Versionen der Haltestellenmasten mit einer Beleuchtung und mehr Platz für Papierfahrpläne. Zusätzliche Displays wurden hier und da mal eingebaut, doch Diggi ist mehr, nämlich eine Digitalisierung des Konzepts, viele Fahrpläne an einer Säule zu positionieren, was Notebookcheck.com dazu veranlasste, sich das System einmal genauer anzuschauen – anhand von drei Säulen, die schon im Betrieb sind und die sich etwas unterscheiden.
Insgesamt 80 Stück sollen noch dieses Jahr aufgestellt werden. Dafür bekommt die BVG auch Geld. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr im Rahmen des Förderprogramms "Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme". Das letzte Projekt, das gefördert wurde, wurde dabei deutlich bezuschusst. Das Difa-Projekt bekam rund 3,17 Millionen Euro an Fördergeldern bei einem Volumen von 6,37 Millionen Euro. Seither wurden Bus- und Straßenbahnhaltestellen sowie Bahnhöfe mit zusätzlichen Digital-Signage-Systemen bedacht, die im ÖPNV-Bereich DFI (Dynamische Fahrgastinformation) genannt werden.
Technisch unterscheidet sich Diggi aber von diesem Projekt deutlich, auch wenn hier wie dort LC-Displays in verschiedenen Größen eingesetzt werden.
Die erste der Diggi-Säulen wurde schon im April 2024 vor dem Roten Rathaus installiert, wo auch der regierende Berliner Bürgermeister sitzt. Dementsprechend fand sich auch Politik zur Vorstellung ein, unter anderen die Wirtschaftssenatorin und Bürgermeisterin Franziska Giffey, also die Stellvertreterin des regierenden Bürgermeisters Kai Wegener. Es ist eine recht schwach genutzte Haltestelle an der aber immerhin im Tagesverkehr zwei bei Touristen beliebte Buslinien fahren. Für öffentlichkeitswirksame Vorstellungen ist die Position aber ideal.
Seit kurzem sind zudem zwei Diggi-Säulen am Ostkreuz in Betrieb. Beide Haltestellen haben ein deutlich höheres Verkehrsaufkommen, sind also repräsentativer. Weitere Diggi-Haltestellen sind uns nicht bekannt. Auf Nachfrage, nachdem wir die Ostkreuz-Diggis entdeckt hatten, nannte die BVG nur die Haltestelle am Roten Rathaus. Noch in diesem Jahr sollen aber insgesamt 80 Diggis im Stadtbild zu finden sein. Es ist also ein stark fokussiertes Projekt angesichts der tausenden Haltestellen in Berlin. Dazu kommt natürlich, dass in Berlin schon einige Haltestellen mit digitalen Anzeigen ausgestattet wurden. Zum einen über das Difa-Projekt und zum anderen die orangenen LED-Anzeiger mit dem Namen Daisy.
Übrigens wurde bisher an wichtigen Haltestellen auch eine Kombination aus Daisy und altem Kubus installiert. Es gab also viel Platz für Papierfahrpläne und gleichzeitig eine Echtzeitanzeige, die aber seit fast einem Jahrzehnt erhebliche Probleme mit der Datenqualität hat. Stichwort: Virtuelle Busfahrten mit realistisch wirkenden Verspätungen, die es auch heute noch gibt.
Doch kommen wir zur Technik:
Drei LC-Displays pro Säule
Die BVG setzt in jedem Diggi drei Displays im Hochkantformat ein. Im oberen Bereich finden sich laut BVG zwei 43-Zoll-Monitore. Sie zeigen die nächsten Abfahrten an und sind vorne wie hinten im Kubus installiert. Damit braucht es in Zukunft kein Daisy-System mehr.
Außerdem gibt es ein 32-Zoll-Display für die Interaktion mit den Fahrgästen. Dort finden sich – nach Knopfdruck – die Fahrpläne der einzelnen Linien. Es gibt jedoch nur einen Knopf, sodass Fahrgäste durch die Fahrpläne durchschalten müssen. Ein zweisprachiger Hinweis auf dem Display (abwechselnd mit Werbung oder Hinweisen) sowie am Knopf verweist auf die Bedienmöglichkeit.
Der befindet sich unter dem Display, was für die Barrierefreiheit sinnvoll ist. Es fehlt aber leider ein zweiter Knopf in einer anderen Höhenebene. Weitere Taster zur Navigation gibt es nicht.
Am Roten Rathaus sind bis zu acht Klicks notwendig, ehe man seinen Fahrplan sieht. Wobei zumindest am Tag Tagesfahrpläne priorisiert werden. Einen Test in der Nacht haben wir nicht durchgeführt.
Beim Ostkreuz sind es ebenfalls vier Klicks. Überraschenderweise hat die BVG bei diesen den Hinweis am Knopf zur Bedienung entfernt. Eigentlich finden wir diesen sinnvoll, da ja ab und an der Hinweis zur Bedienung auf dem Display fehlt.
Die Fahrgäste wie auch wir haben uns erst einmal schwergetan. So haben wir einen Fahrgast beobachten können, der das Durchschalten nicht verstanden hat. Es wird allerdings auch nicht erklärt, dass man mehrfach drücken muss. Für ältere Fahrgäste dürfte die Hürde also nochmal höher sein. Bei der Beobachtung stellten wir zudem fest, dass der Fahrgast verzweifelt auf den nicht vorhandenen Touchscreen getippt hat. Einen Touchscreen wird es jedoch nicht geben.
Die BVG begründet das auf Nachfrage mit der Hygiene: "Vom Touchscreen wiederum haben wir uns verabschiedet, da wir im Austausch mit anderen Verkehrsunternehmen und -verbünden feststellten, dass öffentlich zugängliche Touchscreens seit Corona ein Hygieneproblem für Fahrgäste darstellen und daher kaum noch genutzt werden."
Eine sehr überraschende Äußerung, da wir dieses Problem bisher nicht gesehen haben. Einkaufszentren haben weiterhin Touchscreens, der Alltag wird von der Technik fast schon bestimmt. So sehr, dass viele es erwarten. Dazu kommt, dass sich ein Touchscreen eigentlich leichter reinigen lässt.
Ob die Kunststoffschalter mit ihren baubedingten Spalten, die viel Platz für Schmutz lassen, hygienischer sind? Wir haben da unsere Zweifel, ganz unabhängig davon, dass der wichtigste Übertragungsweg von Sars-Cov 2 eben nicht Oberflächen sind. Die BVG zeigt hier Nachwirkungen einer Fehleinschätzung der WHO, die aber längst korrigiert wurde.
Übrigens sieht man keinen Fahrplan, wenn man sich der Haltestelle nähert. Es werden mitunter andere Hinweise angezeigt, die erst durch den Schalter deaktiviert werden.
Vor- und Nachteile der digitalen Haltestelle
Kommen wir zu den Besonderheiten der Haltestelle. Die beiden oberen Displays sind schnell erklärt. Sie zeigen Echtzeitinformationen der ankommenden Busse an. Wie zuverlässig die Daten sind, muss sich erst noch herausstellen. Da die Datengrundlage bekanntermaßen aber schlecht ist, rechnen wir weiter mit Problemen.
Erst vor wenigen Tagen konnten wir das am Schlesischen Tor beobachten. Dort ist ein Monitor des Difa-Projekts installiert. Wir konnten einen virtuellen Bus an uns vorbeifahren sehen, der mit dem Echtzeit-Symbol (Wellen) ausgestattet war (sprich der Transponder des Busses ist aktiv und liefert Daten) und sogar drei Minuten Verspätung hatte. Der Bus hielt allerdings nicht, da er nur virtuell existierte. Solche Busse kann man auch auf Live-Karten beobachten.
In der Regel ist das System aber einigermaßen zuverlässig, wenn auch die Busse zuverlässig sind. Ausfallende Fahrten erkennt man oft an einer Ankündigung einer Fahrt, bei der allerdings das Wellensymbol fehlt.
Usability-Probleme bei den Fahrplänen
Interessanter ist aber das untere Display. Das zeigt die Fahrpläne an. Allerdings nicht in derselben Art und Weise wie die Papierfahrpläne. Besonders erschwerend: Die digitalen Fahrpläne werden in sehr niedriger Auflösung angezeigt. Welche Auflösung die Displays wohl haben? Die entsprechende Nachfrage hat die BVG in unserem Fragenkatalog ignoriert.
Die Auswirkungen sind aber deutlich. Die digitalen Fahrpläne bieten weniger Informationen als die alten Papieraushänge. In der Praxis wird die Perlenschnur gekürzt. Sprich, es werden nicht alle bedienten Haltestellen einer Linie angezeigt.
Das ist mindestens der Fall für alle vorhergehenden Haltestellen und noch halbwegs verschmerzbar. Wer aber versehentlich die falsche Seite einer Haltestelle aufsucht, findet seine Haltestelle dann nicht, zumal man ja auch erst mal durchblättern muss. Überlappende Linienführungen machen das nicht einfacher.
Bei besonders langen Linienverläufen sieht der Fahrgast aber auch nicht alle Haltestellen, die der Bus noch bedienen wird. Das ist vor allem im Nachtverkehr mit seinen sehr langen Linienläufen ärgerlich. Aber auch im Tagesverkehr ist eine Suche einer Bushaltestelle gegebenenfalls nur auf Papierfahrplänen möglich.
Doch die gibt es nicht mehr. Zwar haben die Säulen weiter sechs Flächen für Fahrpläne, die werden aber anderweitig genutzt. Etwa um die Förderung zu betonen.
Schwierig finden wir auch die Handhabung von Buslinien mit alternierenden Zielen. In Berlin ist man Sternchen oder Buchstaben neben den Fahrzeiten gewohnt. Der digitale Fahrplan arbeitet hingegen mit Umrandungen und Punkten. Bei Buslinien mit besonders vielen unterschiedlichen Zielen wird dieses Anzeigeproblem noch spannend. Am Ostkreuz bietet Diggi immerhin ein Beispiel für vier Ziele einer Buslinie:
Im Übrigen wurden die Fahrpläne nur etwas im Design angepasst (Hochkant statt Querformat, wie es dem menschlichen Sehen entspricht), nutzen aber sonst keine digitalen Echtzeitfunktionen. Der Fahrplan zeigt beispielsweise keine ausfallenden Fahrten an. Ob der Bus kommt, sieht man bei einem Blick nach oben auf dem Hauptdisplay. Immerhin sollen die Fahrpläne immer für die nächsten sieben Tage aktuell sein und damit auch Baustellen berücksichtigen. Allerdings sieht man nicht die Gültigkeit der Fahrpläne, wie das bei der Papierversion der Fall ist. Schade, denn dann lohnt sich das Abfotografieren nicht.
Das ist aber ohnehin schwierig. Wir haben mit zwei Smartphones versucht die Haltestellen zu fotografieren. Zu unserer Überraschung funktioniert das aber nur selten. Auf Distanzen sind Wellenbewegungen zu erkennen. Ungewöhnlich für hochwertige Digital-Signage-Displays, die – wenn sie etwa Werbung tragen – ja gerade fotografietauglich sein müssen. Wer die Verschlusszeit einstellen kann, der kann das umgehen. Mit einer Nikon Z50 und 1/60 ist das Display ohne Probleme zu fotografieren. Auch näher ans Display gehen kann helfen, da dann die Algorithmen der Smartphone-Software sich gegebenenfalls anpassen.
Es gibt außerdem noch eine weitere Besonderheit. Die neuen digitalen Fahrpläne erlauben flexible Taktungen. An der Diggi-Säule am Nollendorfplatz haben wir dies etwa beim Bus 106 entdeckt. Nur an drei Stunden pro Tag ist der Fahrplan eindeutig. Sonst heißt es: Abfahrt alle 19 bis 20 Minuten. Allerdings ohne Bezugspunkt. Zwischen 21 und 22 Uhr lässt sich das noch ausrechnen: 20:56+19 ist etwa 21:15 mit einer möglichen Abfahrt um 21:16. Die nächste Fahrt wäre dann zwischen 21:34 und 21:36. Im Hauptverkehrszeitraum von 4 bis 19 Uhr ist die Unschärfe gegen Nachmittag allerdings enorm, selbst wenn man von 20:05 zurückrechnen würde. Die BVG macht es sich ein bisschen zu einfach, zumal die Fahrten an einem Samstag sogar noch unschärfer sind. Der Bus fährt entweder alle 18 bis 20 Minuten oder alle 20 bis 22 Minuten.
Die Basis im unten genannten Beispiel ist übrigens montags um 4:35 Uhr. Sprich der Bus fährt nicht alle 19 bis 20 Minuten, sondern man wartet um 4 Uhr ganze 35 Minuten bis zum ersten Bus.
Die Politik mag Diggi
Trotz dieser eindeutigen Mängel geben sich BVG und Politik überzeugt, ein gutes System vorgelegt zu haben.
Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey, die zugleich den Aufsichtsrat der BVG leitet, sagte etwa zur Vorstellung von Diggi: "Gerade auch für Menschen, die kein Smartphone oder die BVG-App nutzen, ist das ein wichtiger Service an zunächst 80 Haltestellen in diesem Jahr und bald auch in der ganzen Stadt."
Henrik Falk, Vorstandsvorsitzender der BVG, ist ebenfalls überzeugt von dem System: "Wir wollen, dass immer mehr Menschen bei uns ein-steigen. Dazu müssen wir es ihnen leicht machen – mit aktuellen Informationen, die einfach verfügbar und verständlich sind. Deshalb nennen wir die neue Diggi-Säule auch den Info-Buddy. Er bringt Infos dorthin, wo sie gebraucht werden: direkt zu den Menschen an den Haltestellen."
Doch das ist bereits in Teilen schon prinzipbedingt nicht möglich, allein aufgrund des Designs der digitalen Fahrpläne zeigt das System weniger Daten als die veraltete Papiertechnik. Fahrgäste können sich auch nicht über die drei Seiten verteilten. Sie alle teilen sich einen Bildschirm, um zusammen durch die für sie wichtigen Fahrpläne zu schalten.
An papierbasierten Säulen hingegen sieht man oft, wie die Fahrgäste ihren Fahrplan suchen und dann dortbleiben, während ein anderer Fahrgast die andere Seite verwendet. An einer selten genutzten Säule wir am Roten Rathaus ist das kein Problem. Stark frequentierte Haltestellen hingegen dürfen hingegen voll werden. Hier fehlt offenbar eine Technikfolgenabschätzung, wie sie bei solchen Projekten notwendig sein sollte.
Doch damit nicht genug. In der Praxis kamen noch andere Probleme auf.
Komplettausfall des Fahrplanteils zum Smartphone
Noch deutlicher wurde dies, als wir bei einem von sechs Besuchen einen Komplettausfall des unteren Displays des Systems erlebten. Am Roten Rathaus und den beiden Diggis am Ostkreuz funktionierte plötzlich der Schalter nicht mehr. Besonders pikant dabei: Die BVG hatte an den Ostkreuz-Diggis noch Papierfahrpläne eingehangen. Mit der Aktivierung der digitalen Haltestellen wurden diese jedoch entfernt. Es wurde also unnötig vorhandene Redundanz entfernt. Da kein Fahrplanwechsel ansteht, hätte man die Fahrpläne auch noch an der Säule lassen können.
Das erinnert uns ein wenig an die Deutsche Bahn. Auch die hat etwa die Wagenstandsanzeiger auf allen Bahnhöfen schon entfernen lassen, obwohl die digitalen Systeme noch nicht so weit waren. Das ist noch immer so. Die sehr großen Papierwagenstandsanzeiger müssen weiter gedruckt werden, weil Nachtzüge nicht digital abbildbar sind. Sie haben dann nur eine entsprechend große weiße Fläche am Screen.
Als Folge des Schalterausfalls brauchte es dann doch wieder ein Smartphone. Immerhin sind die Echtzeitanzeigen nicht ausgefallen. Das untere Display war aber weitestgehend nutzlos. Es gab auch keinen Hinweis auf diesen zentralen Ausfall. Dabei gilt eigentlich: "aktuelle Störungsmeldungen kommen schnell und verlässlich dorthin, wo sie ankommen sollen", sprich zu den Farhgästen.
Einen technischen Defekt an den Säulen würden wir ausschließen. Zum einen reagierten die LEDs am Schalter und es war ein Durchklicken zu vernehmen und zum anderen spricht der Ausfall aller drei Säulen dagegen. Ein paar Tage später funktionierten die Säulen auch wieder.
Was uns allerdings Sorgen macht: Wie robust ist das System gegen Softwareprobleme? Wir haben bei der BVG nachgefragt, ob die Daten in den Diggis lokal vorgehalten werden oder immer abgerufen werden. Darauf gab es keine Antwort. Der zentrale Schalterausfall ist aber ein deutlicher Hinweis darauf, dass die BVG nicht an Ausfallsicherheit gedacht hat. Es ist also zu befürchten, dass die Fahrpläne nur zur Verfügung stehen, wenn die Säulen am Netz sind. Eine konkrete Antwort auf die Frage wird wohl noch viel Zeit kosten. Wir würden aber davon ausgehen, dass eine Ausfallsicherheit von der BVG-PR-Abteilung auch entsprechend angepriesen wird.
Ein Versprechen vom April konnte die BVG jedenfalls schon einmal nicht einhalten. Damals hieß es: "[Diggi ist] in allen Situationen eine perfekte Anlaufstelle für die Fahrgäste.", weil es über Mobilfunk einen "heißen Draht zur Leitstelle" gibt.
Barrierefreiheit: QR-Codes für blinde Fahrgäste
Eine weitere Überraschung erlebten wir bei der Betrachtung der Barrierefreiheit (Accessibility) der Haltestellensäulen. Wir vermissten etwa Lautsprecher oder etwas Braille-Schrift. Die Displays sind in bestimmten Winkeln bei ungünstiger Sonnenstellung zudem kaum ablesbar im Unterschied zu den gedruckten Teilen des Diggis. Gerade bei extremer Sonneneinstrahlung ist das nicht ganz unproblematisch.
Ein Taster für das Ansagen der nächsten Fahrten löst diese Probleme und ist längst auch in Deutschland nichts Ungewöhnliches mehr. Die Diggis sind sogar darauf vorbereitet, so die BVG. Doch die BVG hat sich dagegen entschieden. Auf Nachfrage sagte sie:"Auf eine Bedienung via Taster wie auch die Montage von Lautsprechern wurde allerdings bewusst verzichtet da innerhalb eines Vorprojektes zur akustischen Fahrgastinformation bereits verschiedene Möglichkeiten der akustischen Wiedergabe von Texten für sehbehinderte Fahrgäste an BVG-Haltestellen getestet wurden. Dabei haben wir uns gegen das Konzept „sprechende Haltestelle“ entschieden. Stattdessen werden das „sprechende Fahrzeug“ wie auch die „sprechende App“ diese Funktion übernehmen."
Das heißt allerdings, dass seheingeschränkte Fahrgäste eine App benötigen. Das ist manchmal schon für Touristen eine größere Hürde.
Und was passiert, wenn der Bus mit seinem Lautsprecher nicht kommt? Das Fahrzeug wird schlecht sagen können, dass dieser oder jener Bus irgendwo im Stau steckt. Falls keine App installiert ist, gibt es aber noch eine weitere Möglichkeit:
"Über den seitlich am DigiKubus angebrachten QR-Code können zusätzlich auch Informationen zu den Abfahrten per Handy abgerufen und via App vorgelesen werden. Hierzu fanden Vorstellungen und Abstimmungen mit den Sehbehindertenverbänden, dem Behindertenbeirat und Spontanzusammenschluss wie auch der SenMVKU Berlin statt.", so die BVG.
Ein QR-Code für Blinde? Das klingt für sehende Nutzer vielleicht erst einmal abwegig. Wir wollen hier allerdings nicht sagen, dass damit die Haltestelle unbenutzbar ist. Prinzipiell können blinde Fahrgäste durchaus eine App bedienen. Wer das schon einmal gesehen hat, der wird feststellen, dass das mit entsprechender Übung in einer atemberaubenden Geschwindigkeit möglich ist. Auch das Zielen auf QR-Codes ist möglich, sofern man weiß, dass ein QR-Code vorhanden ist und wo dieser positioniert ist. Das Problem: Jeder Haltestellentyp hat diesen Code an einer anderen Position.
Wir haben diesbezüglich beim Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg e.V. (BSVH) nachgefragt, um eine Einordnung außerhalb von Berlin zu bekommen. "Abfahrts-Informationen für die Linien an einer bestimmten Haltestelle via QR-Code zugänglich zu machen, ist eine Idee, kann man aber nicht uneingeschränkt als barrierefrei ansehen.", so André Rabe, 2. Vorsitzender des Vereins BSVH. Er spricht sich außerdem durchaus für App-Lösungen aus, "aber es darf nicht die einzige Lösung sein".
Rabe verweist darauf, dass nicht alle Blinden oder Sehbehinderten mit einem Smartphone unterwegs sind. Außerdem brauchen sie oft eine Hand, um etwa einen Blindenstock zu verwenden oder sich von einem Führhund helfen zu lassen. Wenn in der anderen Hand dann noch ein Einkauf getragen wird, wird es mit dem Smartphone schwierig mit der Anvisierung eines QR-Codes. Gleichzeitig darf niemand im Weg stehen.
Defizite der Barrierefreiheit in Berlin
Die Diggi-Haltestellen haben übrigens kein Blindenleitsystem, um Fahrgäste dorthin zu führen. In diesem Bereich hat Berlin allgemein recht große Defizite. Selbst U-Bahnhöfe sind bis heute nicht vollständig mit diesen ertastbaren Streifen am Boden ausgestattet.
Die BVG sieht das freilich anders: "Auch bei der Barrierefreiheit ist die Diggi-Säule ein echter Fortschritt. Kontrastreiche, übersichtliche und gut lesbare Darstellung, große Schrift und vereinfachte Grafik tragen – im Vergleich zum Papierfahrplan – erheblich zur besseren Verständlichkeit und barrierefreien Nutzung bei."
In einem Barrierefreiheits-Prospekt (PDF) sieht sich die BVG gar als internationaler Vorreiter beim Thema Accessibility. Notebookcheck.com ist international mit vielen ÖPNV-Systemen gefahren. Weder gibt es ertastbare Karten, konsequent ausgebaute Blindenleitsysteme, akustische Signale sind bei der BVG eher selten zu finden, in anderen Ländern aber Standard. Die seltenen Telecoil-Systeme für Schwerhörige, wie man sie bei Straßenbahnen in Barcelona, im Flughafen BER oder U-Bahnen in Kuala Lumpur findet, sind bei der BVG nach unserem Wissen freilich auch Fehlanzeige.
Telecoil würden wir aber auch nicht mehr erwarten. Hier kommt mit Bluetooth Auracast ein Standard, der vielen nutzt, da die Technik über kurz oder lang in fast jedem Smartphone und Bluetooth-Kopfhörer zu erwarten ist. Ein Diggi-Kubus bräuchte dann nur noch einen entsprechenden Bluetooth-Sender. und wäre für Schwerhörige sofort barrierearm.
Freilich haben auch andere Länder Defizite in der Barrierefreiheit, selbst wenn sie viel investieren. Oft ist aber ein gewisser Fokus zu erkennen. Berlin ist noch weit entfernt vom Erreichen dieses Levels. Zum Thema Barrierefreiheit verweisen wir auch auf unseren Erfahrungsbericht zu Südkoreas Hochgeschwindigkeits-U-Bahn GTX-A. Dort sind einige Bilder hinterlegt, die das Blindenleitsystem zeigen.
Das Fehlen von Blindenleitstreifen, Lautsprechern an den Dingis oder auch das Enden von Blindenleitsystemen in Zwischengeschossen zeigen, dass es mit der Barrierefreiheit bei der BVG nicht sonderlich weit ist. Im Bezug auf den Diggi ist es besonders erstaunlich, dass dies bei einem neuen System nicht mit umgesetzt wurde.
Zwei Jahre wurde U Spichernstraße auf #Barrierefreiheit hin umgebaut. Tja... #öpnv pic.twitter.com/cg0LvnKaal
— Andreas Sebayang (Bsky & Mein Name @chaos.social) (@AndreasSebayang) October 1, 2020
Da sind selbst Videospieleentwickler gesellschaftlich heutzutage weiter. So gibt es für die Playstation 5 den Access Controller und für die Xbox den Adatptive Controller.
Wie es besser geht: Busans neue LED-Anzeiger
Das ist auch eine gute Gelegenheit zu zeigen, wie es eigentlich besser gemacht werden könnte. In den High-Tech-Ländern Asiens gibt es dafür zahlreiche Beispiele. Wir konnten uns vor nicht allzu langer Zeit etwa in Busan (Südkorea) das neue Bus-System anschauen. Im Vergleich zu den Diggi-Haltestellen ist es aber ein paar Jahre älter.
Busan setzt dabei konsequent auf sehr kontrastreiche LED-Anzeigen im Outdoorbereich. Diese sind mehrfarbig, angenehm hell und sehr leicht zu lesen. Probleme mit Winkeln gibt es dort im Unterschied zum BVG-System nicht. Außerdem gibt es Blindenleitsysteme an den Haltestellen.
Wir wollen LC-Displays hier aber nicht grundsätzlich als falsche Entscheidung darstellen. Für Werbedisplays ist die Technik noch immer ungeschlagen und wird allenfalls langsam durch hochaufgelöste RGB-LED-Displays oder OLED-Schirme ersetzt. Allerdings haben längst viele Nahverkehrsbetriebe festgestellt, dass LED doch der bessere Weg ist. LC-Displaytechnik ist nicht selten in Asien noch als Legacy-System zu finden oder wird insbesondere in Innenräumen verwendet.
Allgemein kann LC-Displaytechnik auch sehr gut im Outdoorbereich eingesetzt werden. Allerdings nicht mithilfe einer Hintergrundbeleuchtung, sondern über ein transreflektives Design. Die Deutsche Bahn setzte lange auf diese Displays, ehe sie auf LC-Displays umstieg. Diese ZIM-Einheiten wurden sogar mit einem extra Stromsparmodus ausgestattet (Hintergrund). Der Deutschen Bahn ist also bewusst, dass die neuen LC-Displays einen höheren Strombedarf haben als die alten, die bei starker Sonne transreflektiv arbeiten. Anfangs hatte die Deutsche Bahn aber große Probleme mit dem Stromsparmodus, da bei Störungen das Display gegebenenfalls aus bleibt.
Fazit: Diggi ist kein gutes Produkt
Wir haben die BVG natürlich zu diversen Problemen befragt. Doch Antworten gab es – wenn überhaupt – nur zögerlich. Zur Frage der elektrischen Leistungsaufnahme sagte uns die BVG etwa, dass es sich bei den Monitoren um "Niedrig-Energie Industriemonitore" handelt. Immerhin erklärte die BVG, dass sie sich gegen E-Ink und LED entschieden hat, weil die Preise gestiegen sind.
Aus einer Förderperspektive, bei der nur Anschaffungkosten betrachtet werden, ist das nachvollziehbar. Ob das jedoch Nachhaltig ist?
In unseren Augen ist das eine kurzsichtige Entscheidung. Zumal das mit den eigenen Zielsetzungen kollidiert, die Energieeffizienz im Unternehmen zu steigern. Zwar arbeitet die BVG nach eigenen Angaben mit 100 Prozent Ökostrom, die potenzielle Energieverschwendung sehen wir allerdings kritisch. Wir können uns kaum vorstellen, dass auf mehrere Jahre gerechnet nicht andere Techniken billiger sind, da wir relative Zahlen kennen und Fernseher in der Große mit HDR gut und gerne mehr als 100 Watt brauchen. Pro Display wohlgemerkt. Und Diggi ist trotzdem schwerer lesbar als die alten Daisy-Anzeigen.
Von der Stadt Bonn wissen wir durch unseren Bericht über den Einsatz von E-Paper an Haltestellen etwa, dass die vierzeiligen zweiseitigen LED-Matrix-Anzeiger rund 100 Watt benötigen. Das ist im Vergleich zu E-Paper schon enorm. Diese LED-Anzeiger sind aber sehr groß, schnell schaltbar und gelten Vergleich zu LCD-Technik als stromsparend, das bestätigte uns etwa beim Besuch der Passenger Terminal Expo Sharp/NEC, die neben LCD-Technik auch LED- und E-Paper-Technik für Flughäfen anbieten. Auch die ÖBB mit ihren sehr neuen LED-Anzeigen sagen übrigens, dass sie durch den Wechsel von LCD auf LED Strom sparen.
Insgesamt überzeugt uns Diggi auf keiner Ebene. Technisch ist das System offensichtlich nicht robust und die Auflösung der Displays, die die BVG nicht verraten will, viel zu niedrig für das gewählte Fahrplandesign im Hochkantformat. Selbst die groben E-Paper-Displays für den Nahverkehr, die wir auf der Display Week gesehen haben, machen das besser, allerdings mit einer speziellen Anpassung.
Schade ist auch, dass die BVG mit Diggi nicht wenigstens die enormen Defizite bei der Barrierefreiheit in Berlin angegangen ist. Der Einbau von einfachen Lautsprechern sollte dank der dafür vorbereiteten Säulen eigentlich kein Problem darstellen.
Was letztendlich bleibt, ist die Echtzeitanzeige als Vorteil bei entsprechend neu aufgerüsteten Haltestellen, von den anderen DFI-Systemen kann sich Diggi aber nur mit dem versprechen absetzen, dass die Sollfahrpläne im unteren Display für die nächsten sieben Tage immer eingepflegt werden können – inklusive Baustellen. Das ist aber nur von Vorteil, wenn man die Abfahrtzeiten nicht selbst ausrechnen muss.
Quelle(n)
Eigene Recherchen & BVG