Computex 2024 | Analyse: Qualcomm versetzt Intel in Panikmodus und Superstar Jensen lässt Moore's Law sterben
Die vergangene Computex Taipei war etwas Besonderes: der Anfang von etwas Neuem oder auch das Ende der Vorherrschaft von etwas Altem. Intel war auf der Computex sichtlich in der Defensive. Der Grund: Nvidia und vor allem Qualcomm. Ersterer greift Intel auf dem wichtigen und margenträchtigen Server-Segment an und mit Qualcomm gibt es die volle Breitseite von einem Smartphone-Chip-Hersteller im Notebook-Segment.
Fangen wir mit Qualcomm und den Notebooks an: Mit einem Paukenschlag wurden zahlreiche Geräte angekündigt, die auf die Snapdragon X Series setzen. Elite wie auch Plus, wobei die Elite-Version das Geschehen bestimmte. Zudem war es kein simpler Paperlaunch, denn für den 18. Juni 2024 wurden die ersten Geräte angekündigt, die also schon längst in Produktion sein müssen.
Die Unterstützung der Industrie ist dabei gewaltig. Kaum ein Hersteller, der bei der Vorstellung nicht dabei sein wollte. Und Qualcomm zeigte stolz die Notebookdesigns in einer Konstruktion auf der Bühne. Natürlich ließ man es sich nicht nehmen diverse Hersteller auf die Bühne zu bitten und Microsofts Chef Satya Nadella sprach natürlich auch über die neue Zukunft mit Qualcomm.
Und Intel? Der Chipgigant fuhr eine Show auf, die doch etwas peinlich wirkte. Vor der Keynote demonstrierte Intel erst einmal ein gutes Dutzend Leute aus der ganz hohen Entscheidungsebene im Bereich der Notebookproduktion. Sie saßen am Tag nach der Qualcomm-Keynote brav in der ersten Reihe. Acer, Asus, Compal, Wistron, um nur einige zu nennen.
Die durften dann zuhören, wie Intel Lunar Lake vorstellte, dessen Architektur wir in einem früheren Artikel im Detail betrachteten. Allerdings verzichtete man oft auf Details. Vor allem konnte Intel noch nicht belegen, wie überlegen Lunar Lake verglichen mit dem Snapdragon X Elite sein soll. Hier sind auch einige Zweifel angebracht.
Intel-Chef Pat Gelsinger verließ sich mehr auf die Vergangenheit und auf Taiwan. IT steht für Intel und Taiwan. Durchaus bemerkenswert in Anbetracht der aktuellen Spannungen zwischen der VR China und der Republic of China. Das gehörte auf der Computex dieses Jahr sogar zum guten Ton. Auch andere Firmen betonten die Bedeutung des kleinen Inselstaates.
Im nächsten Jahr ist Intel mit Taiwan für 40 Jahre verbunden, wie Gelsinger auf der Computex sagte.
Dazu kamen ein paar Verweise auf die x86er-Geschichte vergangener Jahrzehnte. Die sollten wohl zeigen: "Hey, wir waren schon immer da und haben keine Angst." Bei uns entstand dabei aber eher der gegenteilige Eindruck. Eine gelassene, von der neuen Konkurrenz unbeeindruckte Keynote war das nicht.
Lunar Lake wird erst später zur Konkurrenz
Der Schaukasten für die Lunar-Lake-Notebooks – man bedenke, dass der Chip erst im dritten Quartal startet – machte das nicht besser. Er wirkte wie eilig bei Ikea bestellt und zusammengezimmert. "Hier, schaut her: Wir haben mehr Notebooks als Qualcomm!", ließ sich aus dem weißen Regal heraushören. Aber eben nicht am 18. Juni, sondern ein paar Monate später. Es versteht sich, dass sich tatsächliche Ankündigungen von Lunar-Lake-Notebooks auf der Computex in Grenzen hielten.
Frühestens im dritten Quartal soll sich auch zeigen, dass der hohe Leistungsbedarf von Intels x86er-Prozessoren ein Mythos ist. Lunar Lake ist der "MythBuster" unter den x86ern und x86er-Technik ist "at it's finest", wie Gelsinger auf der Keynote fast trotzig sagte.
Immerhin eine beeindruckende Zahl gab es: 40 Prozent weniger SoC Power soll Lunar Lake bieten. Mit einem kleinen Sternchen, denn das basiert auf einem Youtube-Benchmark. Ein "einfacher" Hinweis auf eine potenzielle Akkulaufzeit wäre sicher hilfreicher gewesen.
Und natürlich gibt es eine NPU in Lunar Lake, die mit 48 TOPS ganze 3 TOPS schneller als Qualcomm ist und 2 TOPS langsamer als AMD. Ja, AMD gibt es auch noch und spielt mit Ryzen AI irgendwie auch mit. AMD war sogar das erste Unternehmen, das seine AI-CPUs auf der Eröffnungskeynote vorstellen konnte. Theoretisch, denn Nvidia lief eigentlich davor außerhalb der Reihe. Aber dazu später mehr.
Ohnehin war auf der Computex nur wenig von AMD zu bemerken, während Intel und Qualcomm nicht nur in den Messehallen ordentlich viel Werbung machten, sondern auch in der Metro Taipei auffallend oft zu sehen waren. Wer mit der U-Bahn fuhr, konnte weder den einen noch den anderen übersehen. Im letzten Jahr gab es einen derartigen Schlagaustausch nicht auf der Computex.
Dieser Schlagabtausch sorgte dann auf der Intel-Keynote zu einer regelrechten Peinlichkeit. Intel präsentierte zum Ende der eigenen Keynote nochmal alle CEOs im Video, die dann brav "I'm with Intel" sagen durften. Nicht wenige davon waren am Tag davor "mit Qualcomm" unterwegs und ziemlich stolz auf ihre neuen ARM-Produkte.
Der Kampf um die Notebooks wird sehr spannend
Was sich nach den Auftritten der Prozessorhersteller definitiv zeigte, ist, dass es im Notebookumfeld sehr spannend wird. So viele Designs mit Qualcomm-SoC gab es bis dato nicht und die vorherigen Generationen von Qualcomm gerieten etwas in Vergessenheit. Das zeigt sich schon beim Thema NPU und der fehlenden Anzeige im Task Manager. Wer ein altes Qualcom-basiertes Notebook mit 8cx Gen3 gekauft hat, der muss sich vielleicht etwas ärgern. Nach Zukunft sieht die alte Plattform nicht aus. Aber genau das Problem soll ja Snapdragon X Elite und X Plus lösen.
Die ersten Anzeichen deuten sehr darauf hin, dass dies gelungen ist. Qualcomm wird Intel wohl im Notebook-Segment einige Marktanteile abnehmen können und der Angriff auf's Desktop-Segment steht ja noch aus. Wobei wir hier vermuten, dass es wohl eher das Mini-PC-Segment sein wird. Noch hat Qualcomm nicht gezeigt, dass man auch hohe Leistung über starke Hitzeentwicklungen ermöglichen kann – eine Domäne von Intel und AMD.
Man ist jetzt "in der Nachbarschaft, um zu bleiben" sagte Qualcomm-Chef Christiano Amon entsprechend auf seiner eigenen Keynote.
Damit haben wir das Notebooksegment betrachtet. Intel hat hier durchaus einiges zu befürchten. Vielleicht auch der Grund, warum Intel mit Panther Lake schon mal die Industrie vorbereiten will. Im Desktop-Segment sehen wir hingegen erst einmal keine große Gefahr, zumal mit Arrow Lake ein potenziell schnelles SoC noch 2024 auf den Markt kommen wird. Das ist Intels Weg den AI-PC auch im Desktop zu ermöglichen. Eine schnelle NPU ist wohl anzunehmen (Update: Die Leistungsfähigkeit ist aber noch unklar, insbesondere ob Microsofts Anforderungen erreicht werden.).
Konkurrenz dürfte Intel dafür ordentlich im Serversegment zu spüren bekommen.
Intel gegen Nvidia
Nvidias Chef Jensen Huang, der in Taiwan so etwas wie ein Superstar ist, konnte Intel hier nämlich auch ordentlich hineingrätschen. Man baute nämlich einfach vor der Computex eine eigene Keynote auf und hielt ein paar Tage später mit dem Nvidia AI Summit sogar eine eigene Konferenz ab. Nvidias GTC ist offenbar nicht genug.
Der Vollständigkeit halber: Auch Intel hielt einen eigenen Tech Tour im Vorfeld der Computex ab. Nvidias Bemühungen waren aber umfangreicher. Der AI Summit sollte vor allem taiwanesischen Firmen einen Blick auf die Zukunft bieten. Die meisten Vorträge wurden nämlich in chinesischer Sprache gehalten. Nur wenige waren in Englisch.
Dafür mietete sich Nvidia im erst letztes Jahr neu eröffneten Grand Hilai, das sich direkt neben dem Messegelände in Nangang befindet, ein ganzes Stockwerk und belegte drei Vortagssäle, die in der Regel gut gefüllt waren.
Was dort im Detail vorbereitet wurde, zeigte Jensen auf seiner Keynote im Großen. Und die war durchaus beeindruckend.
Trotz strömenden Regens gelang es Nvidia das NTU Sports Center zu füllen, das immerhin eine Kapazität von über 4.000 Plätzen hat. Es geht bei Nvidia mittlerweile auch durchaus um die Person Huang, während die Produkte zumindest zeitweise in den Hintergrund rückten. In Ansätzen war auch schon vernehmbar, was bei viele Server-Firmen wie Dell oder HPE längst Usus ist: Lösungen statt explizit Hardware.
Doch während Dell und HPE mittlerweile fast gar nichts mehr zur Hardware sagen und dies in schwer erreichbaren Datenblättern positionieren, bleibt sich Nvidia und vor allem Huang immer noch treu: Technische Daten auf einer Keynote? Die gibt es noch. Und sogar eine Roadmap zu zukünftigen Produkten.
So manch einer bemängelte aber, dass doch relativ wenig Neues verkündet wurde. Die Show rund um den Nvidia-Chef ist in der sonst sehr technisch orientierten Branche doch eher ungewöhnlich.
Zumal insbesondere Gamer wohl von der Vorstellung enttäuscht gewesen sein dürften. Ist Nvidia eigentlich noch eine Firma, die Grafikkarten produziert? Nun, das ist Definitionssache, denn GPUs sind für Nvidia mittlerweile viel mehr als nur Beschleuniger für Spiele. "Das ist eine GPU!", scherzte Nvidias Chef auf seiner Keynote und stellte sich neben ein volles 19-Zoll-Rack, das auf die Leinwand im fast vollen National Taiwan University Sports Center in Taipei gezeichnet wurde.
Eine "echte" Grafikkarte zeigte er nur einmal kurz auf der Bühne – ohne Ankündigung von etwas Neuem.
Für Gamer gibt es also nichts. Dafür muss sich Intel sorgen machen. Interessant sind hier die unterschiedlichen Zugänge: Nvidia mit seinen proprietären Techniken und Intel mit seinen offenen Ansätzen. Letzteres betonte Intel bei der Vorstellung von Gaudi 2, Gaudi 3 und dem Xeon 6. Sei es das Ultra Ethernet Consortium oder auch die Open-Compute-Plattform: Wer auf Intel setzt, setzt auf Standards.
Das alleine reicht aber offenbar nicht, denn Intel konterte zusätzlich mit Kampfpreisen. Man könnte fast meinen, bei den KI-Beschleunigern wird Intel das, was AMD bei Desktop und Notebook gegen Intel ist. Ist auch das ein Zeichen, dass Intel bedroht wird? Schließlich hat man jahrzehntelang insbesondere im High-End-Bereich die Preise diktieren können.
Fast bockig reagiert Intels Chef Pat Gelsinger zudem auf Jensen Huangs Aussagen zum Ende von Moore's Law. Das Gesetzt ist auch weiterhin anwendbar und läuft weiter "solange das Periodensystem noch nicht erschöpft ist", so Gelsinger.
KI, KI, KI
Was übrigens allen Teilnehmer gemein war: die Überbetonung der Künstlichen Intelligenz, der Artificial Intelligence. Nichts geht mehr ohne, könnte man meinen. Auf der Computex sah man dann auch die seltsamsten Hersteller mit einem KI-Logo. Selbst Gehäuse und Mäuse brauchen so etwas.
Doch während man in den letzten Jahren die künstliche Intelligenz getrost ignorieren konnte oder mit entsprechend komplexen Fragestellungen ChatGPT in eine Trotzphase versetzen konnte, wird die KI nun doch langsam erwachsen.
Das Problem ist nur zwischen den ganzen Buzz-Wörtern die wichtigen Dinge herauszulesen. Ein Beispiel dafür war Qualcomms KI-Vision. Da sollen wir mit unserem Snapdragon-PC fast natürlich reden und ihn Bestellungen von Weißer Ware durchführen lassen, sollte sich eine Reparatur nicht lohnen.
Das erinnerte uns ein wenig an die großen Versprechungen des Google-Glas-Projekts, von dem auch nicht viel übrig geblieben ist.
Solche Visionen mögen interessant sein, doch die Fortschritte dürften eher kleinteilig werden, zumal manche Bereiche, insbesondere beim Wissen, doch große Probleme haben, wenn das zugespielte Wissen nicht ausreicht. Wir haben etwa diverse Experimente mit Lebensmittelverpackungen (Ecolean) oder auch die Historie eines Hotels durchgespielt. In beiden Fällen zeigte sich, dass das Internet nicht genug Informationen bereitstellen kann und die KI dann gerne mal halluziniert oder bockig immer dasselbe (Falsche) sagt.
Hingegen sind Bereiche wie Bildgeneratoren beispielweise schon sehr gut nutzbar. Es kommt sehr auf das Feld an, in dem die KI arbeiten soll. Solche Aufgaben sollen die NPUs der Notebooks sehr gut beschleunigen können, während die professionellen KI-Beschleuniger vor allem in der Cloud oder an großen Lösungen arbeiten.
Nvidias Vision einer zweiten Erde ist dabei besonders spannend. Nvidia will einen digitalen Zwilling (Digital Twin) der Erde Stück für Stück aufbauen und jedes Jahr über die Fortschritte berichten. Es dürfte eine der Referenzen für die eigenen GPUs werden. Diese Kopie der Erde soll dann unter anderem für Vorhersagen des Wetters eignen. Taiwan wurde dafür immer wieder als Beispiel genutzt, wo es doch mit herausfordernden Wetterereignissen zu kämpfen hat. Auf einen Taifun ist der Inselstaat gut vorbereitet und Ausfälle der Infrastruktur handhabbar. Doch es gibt Optimierungspotenzial. Mit einer solchen zweiten Erde sollen Wettervorhersagen bis auf eine Genauigkeit von einem Quadratmeter irgendwann möglich werden – weltweit.
Und einen zweiten Fokus hat Nvidia: Die KI muss nach Jensens Vorstellung die Physik lernen. Physical AI nennt er das. Erst wenn die KI entsprechenden Gesetzen folgen kann, wird sie besser werden. Er spielt damit vor allem auf die Robotik an. Humanoide Roboter sind wohl der nächste große Schritt für Nvidia.
Dies ist Bereich, den man wohl beobachten sollte. Ein kleiner Bereich, der von dem Buzzword KI umringt sein wird. Denn heute geht (aus Marketinggründen) nichts mehr ohne KI. Doch die wenigsten KI-Produkte dürften tatsächlich einen signifikanten Nutzen haben.
Quelle(n)
Computex / Eigene Recherchen