ÖBB Nightjet der neuen Generation | Nachtzug mit vielen Annehmlichkeiten für den digitalen Nomaden
Moderne Nachtzüge sind bisher etwas Seltenes. Oft fährt noch sehr altes Material herum. Mit Glück erwischt man hier und da modernisierte Wagen oder sogar neues Rollmaterial, das aus alten Reisezugwagen zu Nachtzügen umgebaut wurde.
Doch im Ergebnis gibt es eine große Mischung in den Zuggarnituren, denn die Fahrzeuge halten Jahrzehnte und viel wurde ins Nachtzugnetz bisher nicht investiert. Nicht nur, weil einzelne Waggons eines Nachtzugs als Kurswagen von unterschiedlichen Eisenbahnverkehrsunternehmen stammen und unterschiedliche Ziele haben, sondern auch, weil das Material oft nicht aufeinander abgestimmt Ist.
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Details
Als eines der wenigen europäischen Eisenbahnverkehrsunternehmen haben die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) viel Geld in neue Nachtzüge investiert. Mit 33 bestellten Nightjets der neuen Generation von Siemens Mobility wollen die ÖBB das ändern. Zur 100-Jahre-Feier haben die ÖBB den ersten Zug im Detail in Wien vorgestellt.
Diese siebenteiligen Garnituren sind aus einem Guss. Das heißt aber auch, dass die Züge zusammen bleiben ("feste Zugkomposition"). Der Nightjet verhält sich dann wie ein Railjet mit fest zugeteilter Lok und einem Steuerwagen auf der anderen Seite. Die neue Lok war in Wien aber noch nicht zu sehen.
Dazwischen wird in aller Regel nichts geändert. Allerdings können zwei Nightjets gekoppelt werden, fahren also in Doppeltraktion. Vergleichbar ist das mit dem deutschen ICE 2, der eigentlich auch ein Zug mit Lokbespannung ist, auch wenn man die Lok dort "Triebkopf" nennt.
Beim Nightjet der neuen Generation kann aber auch eine alte Nightjet-Zusammenstellung mitgeführt werden. Es gibt außerdem einen UIC-Wagenübergang, sodass im Zweifelsfall auch andere Waggons genutzt werden kommen. Geplant ist das allerdings nicht.
Als moderner Nachtzug bietet der neue Nightjet aber nicht nur Neuerungen bei der Zugkomposition. Auch die Technik für Fahrgäste ist rundum auf einem modernen Stand – und das in jedem Waggon.
Von vorne bis hinten modern
Wer den neuen Nightjet das erste Mal betritt, der merkt dann auch schnell, dass alles in sich stimmig wirkt. Da wären beispielsweise die modernen Anzeigesysteme über Displays. In den Sitzwagen hängen sie über den Köpfen. Bei Schlaf- und Liegewagen sind sie in der Nähe der Wagenübergänge.
Der Fahrgast weiß also über die digitalen Systeme gleich, in welchem Wagen er sich befindet, welcher Bahnhof als nächstes angesteuert wird, ob er sich verspätet oder wo der Zug eigentlich hinfährt. Die Anzeigen sind dabei recht übersichtlich. Wer die Railjets der ÖBB kennt, der wird sich schnell wohlfühlen.
Doch das ist nicht die einzige Neuerung.
WLAN im Nachtzug und WWAN-transparente Scheiben
Die neuen Nightjets werden zudem WLAN bieten. Vorbei sind die Zeiten, in denen man mit Müh und Not per Mobilfunk ins Netz kam. Vor allem wenn die ÖBB mit ihren Zügen ins deutsche Bahnnetz fahren, war und ist die Verbindung oft schwierig. Das kennt wohl jeder, der zwischen München und Salzburg öfter unterwegs ist. Es ist eines der größten Funklöcher, die Notebookcheck.com kennt.
Die neuen Nightjets haben jetzt selbst Mobilfunkmodems an Bord und leiten das Signal per WLAN an die Fahrgäste weiter.
Technisch kommt 802.11ac in der Dual-Band-Konfiguration zum Einsatz, wie die ÖBB auf Nachfrage sagen. Sprich, es wird auf 2,4 und 5 GHz gefunkt. Wifi 5 ist zwar nicht gerade ein aktueller Standard. Für den Einsatzzweck dürfte die Funktechnik aber ausreichen, schließlich sind Nachtzüge nicht so dicht mit Fahrgästen bepackt wie etwa Tageszüge.
Im Anbetracht des Vorlaufs bei der Bestellung eines Zuges wundert das aber auch nicht. Als die Nachtzüge in einem Rahmenvertrag 2018 von Siemens und der ÖBB erwähnt wurden, befand sich Wifi 6 alias 802.11ax noch in der Entwicklung.
Wer WLAN nicht nutzen will, etwa weil im Notebook ein WWAN-Modem steckt, der kann sich ebenfalls über die neuen Züge freuen. Denn Siemens verbaut hier die bekannten mobilfunktransparenten Scheiben ein, die man an ihrem Muster erkennen kann, wenn man genau hinschaut.
Der neue Nightjet verspricht also auch hier bessere Empfangsmöglichkeiten. In Ländern wie Österreich, der Schweiz oder Italien bedeutet das vor allem mehr Bandbreite durch die geringere Dämpfung. In Deutschland eine verbesserte Chance, überhaupt einen Kontakt mit Mobilfunkmast zu erreichen.
Alte USB-Dosen statt USB Typ C
Wer schon mal Nachtzug gefahren ist, der dürfte das ein oder andere Mal mit alten Waggons der Deutschen Bahn gefahren sein. Die ÖBB haben im Rahmen der Rettung des Nachtzugnetzes viele übernommen.
Und dann kennt man gegebenenfalls folgendes Szenario im Schlafwagen: Man steckt das Notebooknetzteil in die Steckdose, sieht kurz etwas aufleuchten und dann ist auch wieder Schluss.
Wer seine Geräte brauchte, fluchte da schnell. Die Zeiten sind glücklicherweise mit der neuen Nightjet-Generation vorbei Es gibt für fast jeden Platz drei Möglichkeiten der Energieversorgung: Wireless Qi, USB Typ A und eine Steckdose mit Schuko-Aufnahme. Letztere ist für die Notebooks besonders wichtig, auch wenn die Akkulaufzeiten in den letzten Jahren sich erheblich verbessert haben und viele Notebooks eine Nachtzugreise schaffen.
Wer ein genügsames Notebook hat, darunter fallen alle Macbooks mit USB C oder einige Surface-Modelle, kann auch die USB-A-Buchsen der Nightjets nutzen. Im Sitzwagen bieten diese 2 Ampere, sprich 10 Watt. In den Schlafwagen sind es seltsamerweise 1,5 Ampere. Mit einem USB-A-auf-C-Kabel lässt sich so etwas mehr als Erhaltungsladung schaffen und das Notebook über Nacht aufladen.
Alternativ steht eine Steckdose bereit, dafür muss man aber natürlich ein Netzteil mitnehmen. Das empfiehlt sich aber, denn nicht jeder kann den USB-Port für das Notebook verwenden. Schließlich muss auch das Smartphone oder das Tablet versorgt werden.
USB Typ C gibt es leider nicht. Wie die ÖBB auf Nachfrage erklärten, war USB Typ C seinerzeit nicht Teil der Projektierung. Das wird erst in der nächsten Generation der Züge der Fall sein. Damit meinen die ÖBB nicht etwa eine weitere Nightjet-Generation, sondern den kommenden doppelstöckigen Railjet.
Hier zeigt sich – wie beim WLAN –, wie langfristig die Planung von Zügen ist, von der Projektierung bis zur Auslieferung können Jahre vergehen. Die Luftfahrt ist hier erstaunlicherweise schneller. USB Typ C ist bei vielen Fluggesellschaften längst eingebaut worden.
In der Luftfahrt ist der Austausch des Innenlebens eines Flugzeugs aber auch eher üblich als bei einer Bahn. Höhere Passagierdichte und das Sparen an Gewicht sind wichtige wirtschaftliche Faktoren von Fluggesellschaften, die im Bahnbetrieb eher nebensächlich sind.
Kabelloses Aufladen dank Qi
Als dritte Option gibt es noch Wireless Qi. Fast alle Plätze haben einen Ladeplatz. Hier muss man aber zwischen den Abteiltypen unterscheiden. In den Sitzwagen konnte Notebookcheck nur bei den regulären Sitzen Ladebereiche finden. Bei den 4er-Sitzen waren keine zu finden.
Alle liegenden Plätze sind hingegen komplett ausgestattet. In den Liegewagen haben die oberen Plätze eine Auflagefläche in der Nähe des Kopfbereichs. Es gibt aber auch Plätze mit einer Halterung.
Die ist leider recht eng. Ein iPhone 12 Mini saß beim Test schon recht fest. Sehr viel dicker darf es wohl nicht werden. Eine Hülle wird der ein oder andere Fahrgast wohl abnehmen müssen und an die neuen Klappsmartphones ist da gar nicht erst zu denken.
Wie die ÖBB auf Nachfrage sagte, denkt man derzeit darüber nach, die Halterung noch flexibel zu machen.
In den neuen Mini Cabins, die besonders für Alleinreisende Privatsphäre bieten, sind hingegen überall Auflageflächen vorhanden. Wireless Qi hat trotzdem große Vorteile für die Reisenden. Denn die Ladeflächen sind bei weitem nicht so empfindlich wie USB-Buchsen. Beschädigungen durch rabiate Nutzung dürften seltener vorkommen. Gut für die ÖBB, aber auch für die Fahrgäste.
Privatsphäre in den Mini Cabins
Die größte Neuerung des neuen Nightjets ist die Einführung der sogenannten Mini Cabins. Das sind kleine, für Einzelreisende abschließbare Kabinen. Am ehesten zu vergleichen sind diese mit den in Ostasien verbreiteten Kapselhotels. Stehen kann man nicht, allenfalls sitzen. Dafür kann der Raum komplett abgeschlossen werden.
Vier Mini Cabins nehmen grob den Platz ein, den vorher ein Liegeabteil für vier Personen brauchte. Für das Gepäck und die Schuhe gibt es zwei abschließbare Fächer. Genauer gesagt: Sie werden beim Öffnen der Schiebetür der Kabine für drei Sekunden entsperrt, um etwas hineinzulegen. In ein Fach passen die Schuhe, in das andere ein typischer Trolley, wie man ihn als Handgepäck bei Fluggesellschaften kennt.
Aber Obacht, mehr Platz für Gepäck gibt es nicht. Außer man nimmt es mit in die Kabine oder lagert es aus.
Die neuen Mini Cabins sind eine Alternative zur Single-Buchung von Schlafwagen und damit deutlich günstiger, effizienter und umweltfreundlicher. Prinzipiell lässt sich das System aber auch zu zweit buchen, denn zwischen den Kabinen befindet sich eine Trennwand im Kopfbereich, die sich öffnen lässt.
Für die ÖBB ist das Konzept eine große Wette, denn es gibt recht viele Mini Cabins im Zug. Von den 254 Plätzen einer siebenteiligen Garnitur finden sich insgesamt 78 Mini-Cabin-Schlafplätze. Eine stolze Anzahl für ein bis dato ungetestetes Konzept.
Bankkarten zur Gepäcksicherung dank EMV Contactless
Interessant ist eine Funktion, die die ÖBB Reisenden zur Gepäcksicherung geben. Koffer und Co lassen sich nämlich in den Kofferregalen festmachen, was vor allem für Fahrgäste in Sitzwagen wichtig ist. Neben der traditionellen Codeeingabe gibt es auch eine kontaktlose Funktion.
Wer eine Bankkarte hat, der kann die kontaktlose Funktion nutzen, um damit das Schloss zu schließen. Die ÖBB nennen das NFC-Karten, was technisch aber nicht korrekt ist. Stattdessen wird EMV Contactless genutzt. Erkennbar am Wellensymbol einer Bankkarte.
NFC-Karten, erkennbar an dem N-Symbol auf einer Karte, dürften kaum funktionieren.
Das gilt übrigens auch für Bezahlsysteme, die per NFC Card Emulation funktionieren. Darunter fallen etwa Apple Pay und Google Pay. Wie die ÖBB auf Nachfrage bestätigte, wird NFC Card Emulation aufgrund der zufälligen UIDs nicht unterstützt.
Bei einem kurzen Test funktionierten nicht alle EMV-Karten. Erfolgreich konnten wir eine Mastercard Debit nutzen. Es muss also keine Kreditkarte sein. Eine American Express scheiterte jedoch bei der Nutzung. Selbiges galt für eine Girocard ohne Co-Badge.
Es geht bald los
Noch fahren die Nightjets der neuen Generation nicht. Es lässt sich also noch nicht sagen, wie gut die neuen Drehgestelle sind, die die ÖBB und Siemens als besonders laufruhig vermarkten. Zumal der Zug für bis zu 230 km/h zugelassen wird. Normalerweise fahren Nachtzüge mit 160 bis 200 km/h in der Spitze.
Der auf dem Werksgelände der ÖBB gezeigte Nightjet ist zwar technisch fertig, fährt jedoch erst zum Fahrplanwechsel 2023 (11. Dezember) erstmals regulär mit Fahrgästen. Die neue Garnitur wird initial in Deutschland und Österreich zwischen Hamburg und Innsbruck/Wien eingesetzt. Tickets lassen sich bereits buchen.
Perspektivisch wird der neue Nightjet zudem eine Zulassung für Italien und die Schweiz bekommen. Strom- und Signal-/Sicherungstechnisch ist er darauf vorbereitet. Ab April 2024 soll es insbesondere mit dem Italienverkehr losgehen.
Quelle(n)
ÖBB / Eigene Recherchen