Mireo Plus B/H: Akkuzug- und Wasserstofftestrunden auf Siemens' Eisenbahn-Testanlage
In Deutschland, wo viele Strecken zumindest nach Kilometern gemessen, noch immer nicht elektrifiziert sind, aber seltener gefahren wird, werden in naher Zukunft Siemens Elektrotriebzüge fahren. Sie basieren auf der Mireo-Plattform, einem leichten Nahverkehrstriebwagen, der normalerweise unter Fahrdraht fährt. Nicht so die beiden Ableger Mireo Plus H und Mireo Plus B, die Siemens vorvergangene Woche ausführlich der Presse vorstellte. Letzterer (Plus B für Batterie) sogar als Fahrpremiere. Der H-Zug, der wasserstoffelektrisch angetrieben wird, durfte zudem erstmals seine Leistungsfähigkeit bei der Beschleunigung im inneren Testring T2 demonstrieren, während der Plus B auf dem Ring T1 fuhr.
Die Fahrten waren aber limitiert. Da die anwesende Presse als Fahrgäste eingestuft wurde, durften die Züge nicht bis zu ihrem Maximum gefahren werden. Das ist bei beiden Zügen 160 km/h, wobei beim Wasserstoffzug bisher nur die Option mit 140 km/h geordert wurde.
In der Praxis dürften so hohe Geschwindigkeiten ohnehin selten vorkommen, schließlich fahren solche Züge auf Strecken, die bisher mit Dieseltriebwagen bedient werden. Diese sind in der Regel eher im Bereich von 120 km/h oder noch langsamer unterwegs, nicht zuletzt wegen eines fehlenden Streckenausbaus, aber auch wegen der kurzen Haltestellenabstände.
Dieselzüge haben in der Regel keine guten Beschleunigungswerte. Es gibt zwar Ausnahmen, so fahren etwa in Japan sehr starke Dieselzüge zwischen den Elektrozügen auf Schmalspurstrecken rund um Kobe, doch diese sind weltweit selten. Der typische Dieselzug ist gemächlich unterwegs.
Nicht so die Mireo Plus H und Mireo Plus B. Die beschleunigen fast so stark wie eine U-Bahn. Dabei nehmen sich Mireo Plus H und Plus B nichts. Das sollen sie auch nicht. Im Unterschied zu Dieselzügen sollen die Triebwagen mit den alternativen Antrieben mit dem Rest des Verkehrs unter dem Fahrdraht "mitschwimmen" können, damit andere Züge nicht dahinter warten müssen.
Das stabilisiert den Takt, auch wenn im Verlauf der Strecke einzelne Teile nicht elektrifiziert sind.
Mireo Plus H - Wasserstoff für lange Strecken
Am weitesten fortgeschritten ist derzeit der Mireo Plus H, der letztes Jahr schon seine Pressepremiere hatte, damals aber noch nicht mit voller Geschwindigkeit fahren durfte. Dieses Mal fuhr der zweiteilige Zug mit voller Leistung. Allerdings war der Mireo auch mit allerhand Messequipment samt heraushängender Kabel auf dem Prüf- und Validierungscenter Wegberg-Wildenrath, kurz PCW, unterwegs. Bis Ende 2023 soll die Zulassung abgeschlossen werden, damit der Zug dann mit Fahrgästen auf die Strecke gehen kann.
Sowohl der vordere als auch der hintere Zugteil haben eine eigene Wasserstoffbetankungsanlage und eigene Tanks, wie Siemens angibt. Hintergrund ist, dass es keine Wasserstoffleitung zwischen den beiden Zugteilen gibt. Das sorgt gleichzeitig für Redundanz. Zum Akku selbst wollte Siemens keine Größenangaben machen und sagte nur, dass er einem "größeren SUV"-Akku entspreche.
Die Entwicklung ist sogar schon so weit, dass er prinzipiell auch als Dreiteiler gekauft werden kann. Der Mittelwagen wird dann aber nicht angetrieben, da die mittleren Jakobs-Drehgestelle (zwei Wagen teilen sich ein Drehgestell) bei Siemens nicht angetrieben werden.
Die Mitfahrt auf den Testring T2 war laut Siemens die erste mit Pressepublikum, bei dem der Zug seine Leistung beim Anfahren demonstrieren konnte. Den Unterschied und damit die 1,1 m/s2 Beschleunigung merkten wir schnell, denn wir mussten uns plötzlich festhalten, als der Triebfahrzeugführer den Hebel umlegte. Es war ein Anfahrverhalten, was Eisenbahnfahrgäste auf oberleitungsfreien Strecken einfach nicht kennen.
Von der Geräuschentwicklung hörte sich der Zug zunächst wie ein normaler Elektrotriebzug (EMU) an. Nach einer Weile gab es jedoch ein auffälliges Pfeifen. Laut Siemens soll das noch wegoptimiert werden. Hintergrund ist die Brennstoffzelle, die dann anfängt den Akku bis auf 75 Prozent aufzuladen. Der Rest der Kapazität bleibt frei, um die Bremsenergie aufnehmen zu können.
Allgemein läuft die Brennstoffzelle im Betrieb relativ konstant mit. Hintergrund ist, dass diese bei ihrem Optimum betrieben werden soll und nicht etwa im Schwachlastbetrieb ineffizient Energie liefert. Dafür ist der Akku da, der in der Praxis nahezu ständig aufgeladen wird. Eine Ausnahme dürfte das Anfahren sein, denn da wird der Akku deutlich entleert, was wir im Führerstand auch beobachten konnten.
Das Fahrpersonal hat dafür ein Display mit Balken. Wird der untere Balken blau, rekuperiert das System. Bei einem roten Balken wird Energie für den Antrieb entnommen.
Da Brennstoffzellen eine gewisse Trägheit haben, sorgt der Akku für die Leistung eines typischen Elektrozugs, während die Brennstoffzelle sich um die Reichweite kümmert. Nicht nur Siemens macht das so, auch die Brennstoffzelle des Wasserstoffzugs iLint im Raum Frankfurt am Main wird mit Batterien unterstützt.
Die Reichweite liegt bei 600 bis 1000 km. Das reicht aus, so das Versprechen von Siemens, um das Fahrzeug – wie einen Dieseltriebzug (DMU) – nur einmal pro Tag zu betanken. Pro Tankladung braucht der Mireo Plus H 180 kg Wasserstoff, welches gasförmig mit bis zu 500 Bar betankt wird.
Weitere 20 kg verbleiben in jedem Fall im Tank. Das liegt an den kohlefaserverstärkten Konstruktion des Energiespeichers. Ohne einen gewissen Restdruck würden diese in sich zusammenfallen. Vereinfacht formuliert verhält sich der Tank ähnlich wie ein Luftballon, der ohne Druck seine Form ebenfalls nicht halten kann.
Zur Tankdauer sagte Siemens, dass dies vergleichbar mit der von Dieselzügen ist. Die Deutsche Bahn gab an, dass eine Schnellbetankung in 15 Minuten abgeschlossen ist.
Mireo Plus B - mit Akku auf kurze Strecke
Für Strecken mit mehr elektrischer Infrastruktur ist der Mireo Plus B vorgesehen. Der hat nur eine Reichweite von etwa 120 Kilometern. Der LTO-Akku soll drei Mal so groß sein, wie der eines Mireo Plus H, der als Zug im Gesamten genauso viel wiegt. Offensichtlich reicht das nicht, um eine komplett unter Diesel laufende Strecke zu versorgen.
Doch viele Regionalbahnen berühren irgendwann während eines Umlaufs eine Strecke mit Oberleitung. Hier kann der Mireo Plus B dann aufladen. Sei es an seiner Endstelle oder auch unterwegs. Laut Siemens kann der Pantograph dazu während der Fahrt angehoben werden. Damit wäre eine netzschonende Ladung während der Fahrt möglich. Der Mireo Plus B kann aber auch ohne Oberleitung mit einem herkömmlichen Kabel aufgeladen werden. Das wäre die Lösung für Streckenenden jwd (janz weit draußen). Eine volle Ladung braucht gut eine halbe Stunde.
Gleichzeitig wird das Stromnetz stark belastet, sodass sich nicht überall Ladestationen aufbauen lassen. Das dürfte für Herausforderungen bei der Umlaufplanung sorgen, denn so ein Zug darf nicht einfach mit leeren Akku irgendwo stranden. Laut der Deutschen Bahn, die aktuell ein mobiles Tanksystem für Wasserstoffzüge entwickelt, ist es schwierig in der Peripherie eines Netzes Leistungsspitzen im Stromnetz zu ermöglichen.
Unterschiede im Fahrgefühl gab es zwischen Mireo Plus B und H nicht. Das bestätigte auch für das Fahrpersonal. Laut dem Triebfahrzeugführer, der uns um die Runden führte, ist ein Mireo Plus B etwas einfacher in der Handhabung als ein normaler Mireo, denn die Überleitstellen unter der Oberleitung müssen nicht beachtet werden. Abseits dessen, sagte der Fahrer, gäbe es keine Unterschiede.
Übrigens werden beide Mireo als Baureihe 563 in Deutschland bezeichnet, es gibt also keine Unterscheidung zwischen Brennstoffzelle oder reinem Akku. Züge mit 500er-Baureihen-Nummern sind Triebzüge mit alternativen Antrieben. Einen Überblick zur Baureihenlogik bietet ein Wikipedia-Artikel.
Technische Gemeinsamkeiten
Mireo Plus H und Mireo Plus B basieren auf der Mireo-Plattform von Siemens. Das sind Leichtbau-Nahverkehrstriebzüge, die schon seit einigen Jahren auf den Gleisen unterwegs sind.
Es gibt einige Gemeinsamkeiten, die sowohl Plus H als auch Plus B haben. Beide nutzen etwa Lithium-Titanat-Akkus (LTO) unter dem Fahrzeugboden. Der eine Zug als zusätzlicher Leistungsgeber zur Brennstoffzelle, die beim schnellen Anfahren Unterstützung braucht und die andere Garnitur als allgemeiner Energiespeicher.
LTO-Akkus (Lithium-Titanium-Oxide) sind bei Eisenbahnen nichts Ungewöhnliches und der Energiespeicher hat nichts mit der bei IT-Leuten bekannten Bandtechnik LTO (Linear Tape Open) gemeinsam, auf der Daten gespeichert werden. Toshibas Rangierlok für die Deutsche Bahn arbeitet etwa mit LTO-Akkus.
Siemens hat mit der Akkutechnik auch schon Erfahrung wegen eines Umbau eines Desiro ML (Anmerkung, im Fachartikel von Railway Technology basiert der Zug witzigerweise auf LTO-Bändern, was natürlich falsch ist) vor einigen Jahren. Die Akkus sollen grob 10 bis 15 Jahre halten, müssten also nur einmal ausgetauscht werden, bevor der Zug planmäßig außer Dienst gestellt wird.
Beide Züge haben eine Antriebsleistung von 1,7 MW, mit denen die 1,1 m/s2 als Beschleunigung umgesetzt werden können. Das ist im Regionalverkehr auch für elektrisch gefahrene Züge bereits ein hoher Wert. Insbesondere lokbespannte Züge als auch Hochgeschwindigkeitszüge kommen selten auf solche Werte.
Einsatzszenarien um Berlin herum
Neben den bereits bekannten Projekten in Baden-Württemberg und Bayern wird die Mireo-Plus-Familie auch in und um Berlin (im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, VBB) zum Einsatz kommen. Ganze 38 Fahrzeuge haben die Niederbarnimer Eisenbahnen (NEB) bestellt: Sieben Plus H und 31 Plus B. Zum Einsatz kommen die Züge auf Strecken, bei denen eine Elektrifizierung zwar wünschenswert und bisweilen auch angedacht ist, doch solche Projekte dauern mitunter Jahrzehnte in Deutschland und sind für eine schnelle Antriebswende unrealistisch.
Die Mireo Plus sollen schon zum Fahrplanwechsel Ende 2024 fahren. Zur Orientierung empfiehlt sich ein Blick auf die VBB-Netzspinne (PDF).
Die Brennstoffzellenzüge sind für den Einsatz auf der Heidekrautbahn (RB27) gedacht und werden dort auch von der NEB gewartet. Mit sieben Stück wird das die derzeit größte Mireo-Plus-H-Flotte. Siemens baut noch für zwei weitere Projekte jeweils ein Fahrzeug.
Sollte der Wiederaufbau der Stammstrecke bis dahin gelingen, Skepsis ist hier angebracht, würden die Züge sogar regelmäßig bis nach Berlin-Wilhelmsruh hineinfahren. Aktuell fahren nur einzelne Züge bis Berlin-Gesundbrunnen und der Rest endet in Berlin-Karow. Das heißt aber auch, dass die Züge keine Chance haben, länger an eine Oberleitung zum Laden zu kommen (Nicht-Elektrifizierungskarte der Heidekrautbahn auf Openrailwaymap).
Zwischen Karow und Gesundbrunnen fahren die Züge zwar unter Fahrdraht, doch das ist nur ein kurzes Stück und alternativ müssten die Züge in Gesundbrunnen Bahnsteige blockieren, um sich aufzuladen. Für den Einsatz wäre das unpraktisch, zumal nicht alle Züge so weit fahren. Viele fahren etwa im Berufsverkehr nach Berlin, verbleiben aber sonst im Netz der Heidekrautbahn.
Bliebe noch Karow zum Aufladen. Karow ist zwar elektrifiziert, jedoch über eine seitliche Stromschiene für die S-Bahn. Die RB27 hält hier an einem S-Bahnsteig, kann wegen der teils im 10-Minuten-Takt-fahrenden S-Bahnen aber nicht einfach dort aufladen.
Die bestellten Mireo Plus H können immerhin halbwegs an einem S-Bahn-Steig halten, da sie eine Einstiegshöhe von 800 mm haben, was untypisch hoch für Regionalzüge ist und trotzdem etwas unterhalb des S-Bahnsteigs bleibt (960 mm). Die Mireo Plus B wurden hingegen mit einer Einstiegshöhe von 600 mm geordert, da würde man in den Zug herunterfallen. Es versteht sich von selbst, dass weder das eine noch das andere barrierefrei ist.
Wasserstoff ist also für das Netz der Heidekrautbahn das offenbar bessere Mittel. Der Treibstoff für die Mireo Plus H wird in einem gemeinsamen Projekt mit Enertrag lokal produziert. Hauptsächlich sollen Solarzellen für die Energiegewinnung genutzt werden, wie die NEB sagte. Ein Teil des Wasserstoffs wird aber auch per Windkraft produziert. Wasserstoff aus Abfällen, wie er in Frankfurt am Main für die iLints genutzt wird, soll es nicht geben.
Der Rest der Mireo-Plus-Flotte, also 31 Züge, werden als B-Version mit Akkus auf die Strecken der Linien des Netzes Ostbrandenburg eingesetzt. Auch das ist eine große Flotte. Siemens hat insgesamt 61 Mireo Plus H in den Orderbüchern, inklusive einem Projekt in Dänemark.
Im Netz Ostbrandenburg gibt es jeweils reguläre und häufig zu bedienende Zugangspunkte zur Oberleitung. Entweder stehen die Züge länger an einer Endhaltestelle oder können auf einem größeren Abschnitt in jedem Umlauf ihre Akkus aufladen.
Nichtsdestotrotz werden die NEB zwei Ladestationen an Endpunkten aufbauen. In Templin (RB12) und Werneuchen (RB25) sollen diese fernab vom Rest des Netzes aufgebaut werden, also jwd, wie der Berliner sagt. Eigentlich sind das keine Endhaltestellen, doch in Brandenburg wurden in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Strecken stillgelegt. Templin ist erst seit wenigen Monaten wieder der Schluss einer Strecke.
Zwei weitere Ladestationen entstehen "mittendrin". In Beeskow entsteht eine grob auf halbem Weg der RB36 und in Wriezen eine für die RB60. Das ist auch ein "halber Endpunkt", da Verstärkerfahrten dort enden.
Laut NEB werden die vier Ladestationen nur während der Abstellung genutzt, nicht aber im Fahrbetrieb.
Für die restlichen Linien (RB26, RB35, RB61, RB62, RB63) reicht offenbar die elektrische Infrastruktur aus.
Akkuzüge fahren teils auch unter der Oberleitung
Das gilt insbesondere für die Regionalbahnlinien RB62 und RB63 im Nordosten. Dort fahren die Mireo Plus B vollständig unter Fahrdraht. Die Nutzung von Akkuzügen dort war Bedingung der Ausschreibung. Diese, auf den ersten Blick wie ein Faux Pas wirkende Entscheidung, dürfte aber etwas mit der Umlaufplanung und einheitlicher Flottenplanung zu tun haben. Das bestätigt auch die NEB auf Nachfrage von Notebookcheck.com. Für die besagten Strecken bräuchte die NEB zwei Elektrotriebzüge (EMU, Electric Multiple Unit). "Eine Durchmischung der eingesetzten Flotte mit 2 EMU zu 29 BEMU wäre wirtschaftlich (Reservefahrzeuge/Ersatzteile) nicht vertretbar gewesen" so die NEB und bestätigt zudem, dass unter Fahrdraht generell mit Pantographen gefahren wird.
Eine Besonderheit ist die RB26, denn die fährt bis nach Polen. Den Mireo Plus B fehlt dafür aber eine Zulassung und die sicherheitstechnische Ausrüstung. Dazu sei angemerkt, dass grenzüberschreitender Bahnverkehr ein äußerst komplexes Thema ist, welches den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Vereinfacht gesagt: die meisten Triebzüge und Loks können nicht einfach in ein Nachbarland fahren.
Züge, die bis nach Polen fahren, werden also weiter mit Diesel (polnische Pesa Link) betrieben, während Verstärkerfahrten innerhalb Deutschlands – sollten sie tatsächlich Realität werden – mit dem Mireo Plus B bedient werden.
Aktualisierung am 24. Mai 2023: Der Text wurde um Antworten der Niederbarnimer Eisenbahn ergänzt.
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