Fahrplanwechsel: Vier Regionalbahnen fahren in Hessen mit Wasserstoff-"Abfall"
Seit dem Fahrplanwechsel 2022/2023 werden im Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) in Hessen vier Linien mit wasserstoffelektrischen Zügen (FCEMU) betrieben. Die Züge werden auf teils nicht elektrifizierten Strecken eingesetzt und ersetzen damit dieselbetriebene Fahrzeuge auf dem Taunusnetz.
Betrieben werden die Triebwagen der Baureihe 554 (iLint 54, Alstom) von einer Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn auf insgesamt vier Strecken. Allerdings können noch nicht alle Linien bedient werden, weswegen die Hessische Landesbahn, die die entsprechend der Ausschreibung eigentlich die Linien RB11, RB12, RB15 und RB16 hätte abgeben müssen, zunächst bis zum April unterstütztend weiter fährt.
Andernfalls würde der Gewinner der Ausschreibung nämlich keinen Betrieb gewährleisten können und der Verkehr würde zusammenbrechen. Bis April sollen alle iLint 54 ausgeliefert werden.
Die meisten Linien haben gemeinsam, dass sie relativ wenige Bahnhöfe und kurze Strecken haben. Nur die RB15 nach Brandoberndorf hat einen längeren Weg zurückzulegen. Zwei der Linien starten in Frankfurt-Höchst und die anderen beiden Linien bedienen Laufwege um Friedberg herum. Anhand der Openrailwaymap zur Elektrifizierung ist ersichtlich, dass die Strecken eigentlich auch mit einem Akkuzug (BEMU, Battery Electric Multiple Unit) betrieben werden könnten.
Aus Abfall wird Treibstoff
Doch in der Region gibt es eine Besonderheit. Im Industriepark Höchst wird durch Chemieprozesse Wasserstoff als Abfallprodukt hergestellt, der sonst einfach verbrannt werden würde. Damit bietet sich der Einsatz der Brennstoffzellenzüge als Alternative an. Die notwendige Energie muss nicht von Kraftwerken bereitgestellt werden.
Eine kurzfristige Elektrifizierung kann hingegen ausgeschlossen werden. Von der Idee bis zum ersten Setzen der Oberleitungsmasten können in Deutschland mehrere Jahrzehnte vergehen. Mit gerade einmal 61 Prozent Elektrifizierungsgrad im staatlichen Netz liegt Deutschland knapp über dem EU-Durchschnitt, so Allianz pro Schiene. Rechnet man nach Verkehrsleistung, sieht das zwar besser aus, nämlich bei über 90 Prozent. Doch gerade auf Nebenstrecken fehlt die Elektrifizierung. Österreich hat einen Elektrifizierungsgrad von 73 Prozent. Die Schweiz mit ihrem anspruchsvollen Terrain hat eine Quote von 100 Prozent.
Der Vorteil von Wasserstoffzügen ist eine gewisse Reichweitenunabhängigkeit, die hier nicht zur Geltung kommt. Hersteller Alstom ist kürzlich eine Rekordfahrt gelungen. 1.175 Kilometer schaffte ein iLint 54 mit einer Tankfüllung. Das ist auch für anspruchsvolle Dieselstrecken genug. Tankfahrten müssen also nicht allzu oft durchgeführt werden. Im Unterschied zu vielen BEMU können Wasserstoffzüge nicht einfach irgendwo auf einem Streckenabschnitt betankt werden. Es gibt aber eine mobile Zugbetankungseinrichtung, so der RMV.
Akkuzüge können hingegen auf einem Stromabschnitt "nachtanken", sofern dieser existiert. Im Taunusnetz gibt es für jede Linie eine Möglichkeit.
Der iLint 54 besitzt übrigens auch Akkus. Für das schnelle Anfahren alleine reicht die Kraft der Brennstoffzellen zur Bereitstellung des Stroms nicht aus. Beim Bremsen oder während der Fahrt werden die Akkus wieder aufgeladen, um beim nächsten Haltepunkt oder Bahnhof wieder bereitzustehen.
Der zweiteilige Triebzug bietet Platz für 160 Fahrgäste und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 140 km/h. Die kann der Zug in der Regel aber nicht ausfahren, da die Einsatzstrecken nur für 60 bis 90 km/h ausgelegt sind. Im Vergleich zu den Lint-Dieselzügen der letzten Generation soll der iLint 54 vergleichbare Brems- und Beschleunigungseigenschaften haben (PDF). Insgesamt werden 14 Zuggarnituren angeschafft.
Der Betrieb von Wasserstoffzügen ist derzeit noch in einer frühen Entwicklungsphase. Die Alstom-Konkurrenten Stadler (mit dem Flirt H2) und Siemens (Mireo Plus H, Baureihe 563) sind noch dabei, ihre Angebote vorzubereiten.