Gültigkeit von Handytickets wird in Berlin je nach App unterschiedlich gehandhabt
Es ist jetzt rund ein Jahr her, dass Notebookcheck über die neue VBB-App für iOS berichtete. Sie sollte eigentlich die umstrittene 60-Sekunden-Sperre beim digitalen Ticketkauf im Verkehrsverbund Berlin Brandenburg (VBB) auch für die eigene App auf Android- und Apple-Geräte bringen. Sprich: Der Fahrschein wird erst nach einer Wartezeit von 60 Sekunden auf der App sichtbar und damit gültig.
Geplant war das Update für das zweite Halbjahr 2022, während beispielsweise die Deutsche Bahn, aber auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) dies schon im April des letzten Jahres umsetzten.
Doch bisher wurde die neue Regel beim VBB softwaretechnisch nicht umgesetzt, wie ein Test von Notebookcheck.com überraschend offenbarte. Für iOS ist bis heute keine App-Aktualisierung der VBB-App ("VBB Bus & Bahn: Routenplaner") erschienen. Die Android-App hat eine Aktualisierung im November 2022 erhalten, doch beim Kaufen eines Testfahrscheins zeigte sich dort ein unerwartetes Verhalten.
Die App zeigte den Fahrscheincode nämlich sofort an, anstatt uns 60 Sekunden warten zu lassen. Die neue Wartezeit sollte eigentlich eingeführt werden, "Um Klarheit für Fahrgäste und Kontrollpersonal zu schaffen" und es sollte "eine Rechtssicherheit für Fahrgäste und Kontrollpersonale geschaffen werden", wie es damals in der Pressemitteilung hieß.
Es verwundert also, dass ausgerechnet der Verbund nicht in der Lage ist, die Rechtssicherheit zu schaffen, die er so groß ankündigte. Notebookcheck.com hat dazu beim Verbund nachgefragt. Zur iOS-Version sagte der VBB knapp: "an einem Update der iOS-Version wird zurzeit gearbeitet. Einen Livegangtermin gibt es momentan noch nicht."
Auf die Android-App angesprochen wird der Verbund genauer. Demnach "konnte [der 60-Sekunden-Timer mit Sperre] aufgrund technischer Restriktionen in der VBB-App „Bus&Bahn“ bisher nicht umgesetzt werden, weshalb weiterhin der 2-Minuten-Zähler zum Einsatz kommt"
Interessant hierbei ist: Die VBB-App nutzt nur indirekt einen 2-Minuten-Zähler. Beim Test von Notebookcheck.com startete der Zähler sofort bei 60 Sekunden und endete bei 120 Sekunden. De facto kommt hier also ein 60-Sekunden-Timer zum Einsatz. Doch im Unterschied zum angekündigten Timer ist das Ticket hier sofort gültig. Die Dokumentation des VBB erwähnt übrigens nur einen 120-Sekunden-Timer.
Digitalisierung verwirrt die Fahrgäste
Mit der Digitalisierung der Fahrscheine gibt es ausgerechnet im flächengrößten Verbund Deutschlands also weiterhin Probleme. Die App entscheidet, wie der Fahrgast einzusteigen hat. Aktuell ist die VBB-App formal weniger riskant, denn diese App erlaubt den direkten Zustieg, sofern das Kontrollpersonal weiß, dass der 60-120-Sekunden-Timer nichts mit der Gültigkeit des Fahrscheins zu tun hat. Hier gab es in der Vergangenheit immer wieder Missverständnisse.
Zur Erinnerung: Die 60-/120-Sekunden-Timer in Apps sollen Kontrolleuren dabei helfen, zu beurteilen, ob ein Fahrschein im oder außerhalb eines Fahrzeugs erworben wurde. Wer einen digitalen Fahrschein in einem Fahrzeug erwirbt, ist ein Schwarzfahrer. In Deutschland ist das eine Straftat. Eigentlich ist ein Timer grundsätzlich nicht notwendig, denn der Handyticket-Deutschland-Standard erlaubt sekundengenaue Tickets, sodass Zustieg und Fahrscheinerwerb exakt beurteilt werden können.
Dass der neue digitale Fahrschein erst nach 60 Sekunden angezeigt wird, soll verhindern, dass der Fahrgast versehentlich das Fahrzeug ohne gültigen Fahrschein betritt. Steigt er ohne Abwarten nach dem Kauf ein, fährt der Fahrgast definitiv schwarz.
In den Beförderungsbedingungen (PDF) wird das auf Seite 163 bereits berücksichtigt: "Ein Betreten des Verkehrsmittels ist erst nach vollständiger Sichtbarkeit des Fahrausweises auf dem mobilen Endgerät gestattet."
Wer hingegen einen Papierfahrschein am Automaten in einer Straßenbahn kauft – auch wenn diese schon losgefahren ist – handelt legal. Sollte der Automat allerdings kaputt sein, darf der Fahrgast nicht den Fehler machen, die App im Fahrzeug zu zücken, um einen Fahrschein zu kaufen. Das widerspräche den Beförderungsbedingungen.
Digitale Kurzstrecke: 20 Minuten plus Kulanz
Erschwerend kommt hinzu, dass manche digitale Fahrscheine eine überraschend kurze Gültigkeit haben. Kurzstrecken etwa müssen nach Kauf (plus 1 Minute) binnen 20 Minuten abgefahren werden. Da man einen um die Ecke fahrenden Bus kaum an der Haltestelle eine Minute vor Abfahrt sieht, muss eine Kurzstrecke auf Verdacht in der Hoffnung gekauft werden, dass das Fahrzeug einigermaßen pünktlich fährt.
Problematisch sind auch Busse, die virtuell in der Livekarte am Fahrgast vorbeifahren, aber ausgefallen sind. Auch ausfallende Fahrten haben mitunter realistisch aussehende Verspätungen. Ein Phänomen, das in Berlin seit Jahren ein Digitalisierungsproblem ist.
Auf die Problematik angesprochen versicherte der Verbund aber, dass hier kulant gehandelt wird. Diese Regelung existiert schon seit 2019 und Fahr- wie auch Kontrolpersonal ist angehalten "sich Fahrgästen in den genannten Einzelfällen kulant gegenüber zu verhalten". Weiter heißt es: "Verspätungen und Ausfälle sind in der Regel für das Fahr-und Verkaufspersonal nachvollziehbar, sodass vor Ort entschieden werden kann, ob der Fahrgast mit dem abgelaufenen Fahrausweis noch mitgenommen wird."
Auch für Kontrolleure dürfte dies eine komplexe Situation sein. Denn nicht immer ist das Gelernte das Korrekte.
Der Papierfahrschein hat Vorteile
Die Regelungen im VBB sind also tendenziell verwirrend. Denn ob der Fahrgast ein Fahrzeug betreten darf, hängt noch immer von der App und bisweilen von der Kulanz oder auch dem Fachwissen der Kontrolleure ab. Allgemein gilt: Wer beispielsweise die BVG-App nutzt, muss eine Minute warten, wer die VBB-App nutzt darf (noch) sofort nach Kauf zusteigen.
Diese Probleme haben Papierfahrausweise hingegen nicht. Kurzstrecken können vorher gekauft werden und auch in einem verspäteten Bus mit hoher Rechtssicherheit entwertet werden. Zudem gibt es für die Papierkurzstrecke keine Einschränkung. Sie gilt für die Strecke und hat keine Zeitabhängigkeit. Damit lässt sich die Kurzstrecke auch unproblematisch am späten Abend mit Umstieg zwischen U- und S-Bahnen verwenden. Manche S-Bahnen fahren dann gerne im 20-Minuten-Takt.
Ähnliches gilt für andere Fahrausweise. Reguläre Fahrausweise bieten in der Regel um die fünf Minuten extra Fahrzeit, da die Uhren der Entwerter in die Zukunft stempeln. Dazu kommt der Umstand, dass sich Papierfahrscheine bei Straßenbahnen und Bussen in Berlin zum sofortigen Fahrtantritt im Fahrzeug kaufen lassen.
VBB, aber auch Verkehrsunternehmen sehen dies naturgemäß anders. Die BVG wirbt etwa auf ihrer Webseite mit "So schnell und einfach war der Ticketkauf noch nie" für die App. Weiter heißt es nach dem Bezahlen: "Und schon bist du fahrbereit und verpasst garantiert nie wieder die Bahn wegen nervigem Anstehen am Automaten."
Auf der Webseite zum VBB-Handyticket ist das ähnlich formuliert es: "Ticketkauf mit der VBB-App „Bus & Bahn“: Keine Wartezeiten, kein Kleingeld, immer mobil" und "Sie wählen und kaufen den Fahrausweis ganz bequem zum sofortigen Fahrtantritt".
Noch stimmt diese Beschreibung, denn die Wartezeit, die den sofortigen Fahrtantritt verhindert, wurde noch nicht implementiert.
Quelle(n)
Eigene Recherchen / VBB