Vor-Ort-Bericht | 100 Jahre Ifa: Tunnel des Grauens, Baustellenverkehr und Redesign des Funk-Otto
Eigentlich gibt es in Berlin etwas Großes zu feiern. Denn die Internationale Funkausstellung (Ifa) feiert ihr 100-jähriges Bestehen. Es gibt nicht viele Tech-Messen, die so lange bestehen und noch weniger haben eine derartige Bedeutung. Die ist groß genug, dass Intel seinen Lunar-Lake-Launch in Berlin stattfinden ließ und Qualcomm und Intel in der Stadt zahlreiche Werbeplätze buchten.
Früher hatte die Messe einem starken Fokus auf Radios, wie bei Welt der alten Radios zum 90-jährigen Bestehen nachzulesen ist. Wer sich für die Geschichte der Ifa interessiert, dem empfehlen wir das umfangreiche Stück, das mit vielen alten Bildern angereichert ist. Heute hat die Messe sich gewandelt, wobei Funk eigentlich immer noch sehr wichtig ist: in Notebooks, im Smarthome und selbst in den Waschmaschinen. Denn all diese Geräte gibt es mittlerweile mit Funkeinheiten, seien beispielsweise Bluetooth, WLAN oder 5G.
Doch trotzdem hat die Messe 2024 einiges an Charme verloren. Ein monoton wirkendes Redesign lässt den neuen Messeauftritt leblos erscheinen. Knallige, einfarbige, aneinander gereihte Flächen dominieren das Design der Messe, die seit letztem Jahr von Clarion Events durchgeführt wird. Das Redesign ist so radikal, dass die klassische rote Farbe der Messe kaum noch in Erscheinung tritt und selbst der Funk-Otto von Helmut Lortz, das Symbol der jüngeren Ifa-Geschichte, nicht mehr zu sehen ist.
Nunja, fast. Denn auf der Messe ist der Funk-Otto doch wieder in Erscheinung getreten. Hier und da auf neuen Farben. Prominent sogar an Außenflächen des Messegeländes. Aber man muss schon bewusst nach dem Logo schauen.
Immerhin widmete die Ifa dem Funk-Otto einen eigenen Artikel. Trotzdem ist nicht viel davon übrig geblieben, zumal der Otto im neuen Design der Ifa doch sehr wie ein Fremdkörper vergangener Zeiten wirkt.
Der Tunnel des Grauens als Messezugang
Wie aus einer anderen Zeit wirkt auch die Infrastruktur rund um das Messegelände. Dabei wollen wir weniger auf die Messe selbst eingehen. Die ist im Laufe der Jahrzehnte gewachsen. Die einen mögen es, wie der Autor dieser Zeilen, die anderen eher nicht. Die Meinungen gehen hier stark auseinander, wobei tendenziell Berliner das Messegelände durchaus mögen, schließlich war insbesondere die Ifa immer auch ein großes Fest als Publikumsmesse.
Doch was mittlerweile in die Kategorie Katastrophe gehört, ist der Zugang zur Messe im Nordbereich zwischen S-Bahnhof Messe Nord (Witzleben) und den Messeeingängen Ost und Nord. Die aus einigen Filmen bekannte, in Orange gehaltene unterirdische Verbindungspassage (Passerelle) rottet mittlerweile dahin. Kaputte Lichtanlagen, kaputte Rolltreppen, kaputte Fahrstühle, viel Dreck und mitunter frischer Urin prägen den Zugang zum Messegelände und sind damit auch ein Gesicht der Stadt. Lokale Medien nennen die Passerelle auch gerne den "Tunnel des Grauens". Oberirdisch lässt sich nur bedingt laufen, denn es gibt keine Ampelanlagen für Fußgänger.
Die Stadt Berlin und Betreiber kümmern sich nicht. Am ersten (Fach-)Messetag ist der Zustand jedenfalls schlecht. Es gibt viel Müll, seltsame Pfützen und hier und da sind Leuchtmittel einfach komplett ausgefallen. Nichts Neues für langjährige Ifa-Besucher. Doch zu einem Jahrhundert Ifa könnte man mehr erwarten. Auch Rolltreppen funktionieren nicht.
Dabei ist der aktuelle Zustand – im Vergleich zu sonst – sogar gut. Ein reduziertes Müllaufkommen legt die Vermutung nahe, dass hier doch einmal gereinigt wurde – irgendwann vor der Messe. Besuche von Notebookcheck in den vergangenen Monaten zeigten jedenfalls deutlich mehr Müll:
Staubsaugerroboter in der Passerelle?
Eigentlich könnte die Messe die Anlage gut benutzen. Viele Staubsaugerroboterhersteller könnten die Tunnelanlage für Praxistests nutzen. Sauberer wäre die Anlage dann auch. Vielleicht eine Idee für das nächste Jahr?
Ein Problem der heruntergekommenen Anlage ist offenbar stadtsoziologischer Natur. Mittlerweile lockt die Passerelle viele Obdachlose und Vandalismus an. In einer Stadt, in der Wohnraum in den letzten Jahren immer teurer geworden ist, nicht unbedingt verwunderlich, zumal gegen die Wohnungsnot nicht viel getan wird. Die mangelhafte Pflege der Anlage tut ihr Übriges. Ein Teufelskreis, denn mittlerweile meiden Menschen die Anlage und als Folge wird sie immer leerer. Die Senatsverwaltung sieht das Problem dann auch nicht bei sich, sondern bei den Obdachlosen, die sich dort angesiedelt haben.
Es gibt zwar eigentlich laut der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt eine tägliche Besenreinigung. Aber eine Nassreinigung findet beispielsweise nur alle zwei Wochen statt, wie die Verwaltung uns sagte. Der eigentlich regelmäßig zu pflegende Fußboden wird sich selbst überlassen und die Besenreinigung fand zumindest zum ersten Ifa-Tag nicht rechtzeitig statt. Auch davor zweifeln wir daran, dass diese so regelmäßig stattfindet. Der Müll sah bei mehrren Besuchen danach aus, als würde er Tage liegen.
Für Berlin ist das nicht untypisch. Anlagen, die Probleme bereiten, verrotten solange, bis es nicht mehr anders geht als sie zu schließen. Doch für ein Schließen fehlt oft die Zeit und so verrotten die Anlagen weiter. "Dit is Berlin".
Tatsächlich soll die Passerelle irgendwann geschlossen werden. Wann das passiert, konnte die Senatsverwaltung nicht sagen. Solange werden auch Messebesucher mit diesen Zuständen konfrontiert. Denn die Senatsverwaltung gab offen zu: "Da geplant ist, die Verkehrsanlage zu schließen, werden angesichts erheblicher Investitionskosten keine umfangreichen Finanzmittel für einen Ersatz der technischen Anlagen aufgewendet. Die Anlagen werden im Bestand gepflegt."
Anstrengungen, die Fläche mit Leben zu füllen, scheiterten zudem: "Durch das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf wurde diverse Anstrengungen unternommen, die Flächen mit Leben zu erfüllen. Ein soziale Kontrolle funktioniert vor allem durch eine Belebung. Da dieses gerade in den Nachtstunden nicht realisierbar ist, bestehen die Bestrebungen, die Verkehrsanlage zu schließen und nur zu Spitzenzeiten zu öffnen."
Interessant, denn nachts kommt man dann gar nicht erst über die Straßenkreuzung, ohne mehrere Hundert Meter Umwege zu laufen. Auf der anderen Seite ist die Tunnelanlage nachts wirklich unheimlich und für Sicherheitspersonal offenbar kein Geld da.
Wer sich wundert, warum die Anlage zudem so schlecht beleuchtet ist: Es soll vor allem Vandalismus sein, so die Senatsverwaltung. So wurden zahlreiche Leuchtmittel erst nach einer Presseanfrage von Notebookcheck.com im Juni repariert. 35 Stück wurden getauscht. Teilweise werden die Röhren, es werden noch Leuchtstoffröhren verwendet, mit Gewalt herausgerissen. Eine Umrüstung auf LED – aus technischer Betrachtung und zwecks Stromsparen eigentlich seit zehn Jahren überfällig – ist nicht geplant. Warum dies nicht geschah, wurde seitens der Senatsverwaltung nicht beantwortet. In Berlin geht man mit Energie aber ohnehin nicht spaersam um, wie die neuen digitalen Haltestellen Diggi belegen. Der Umbau ist eventuell mit einer neuen Abnahme, auch zum Brandschutz verbunden. Entsprechende Fragen in die Richtung wurden aber nicht beantwortet.
Dazu kommen die Rolltreppenprobleme. Zwei sind ohnehin dauerhaft seit Jahren abgeschaltet und dienen nun als Ersatzteillager für die restlichen Rolltreppen, von denen am ersten Messetag für Medien zahlreiche nicht funktionierten. Auch hier soll Vandalismus schuld sein, sprich irgendwer drückt den Notausschalter. Statt jedoch die Anlage zu bewachen wird nur auf Störungsmeldung eine Fachkraft gerufen, die die Rolltreppen wieder in Gang setzt.
In Zukunft will das Technikunternehmen, dass die Lichtanlagen repariert, sogar die Polizei rufen. "Bereits im Zuge dieser Entstörungsmaßnahmen wurden die von uns beauftragten Monteure vor Ort durch das „ansässige Obdachlosenmilieu“ bedroht." heißt es von dem von der Senatsverwaltung beauftragten Betreiber.
Eine internationale Messe, erst recht nicht zum 100-jährigen Jubiläum, ist offenbar nicht genug, um daran etwas zu ändern. Das zeigt auch ein weiteres Problem: denn ausgerechnet zur Ifa rollt die S-Bahn nicht wie gewohnt.
Keine Direktzüge aus der Innenstadt zur Messe
Profis fahren nämlich schon lange mit der S-Bahn zur S-Bahnstation Messe Süd (Eichkamp). Der Bahnhof ist praktisch der neue "Hauptbahnhof" der Messe und halbwegs gut ausgestattet. Zwar fehlt eine Überdachung bis zur Messe, bei Regen heißt es also sprinten, und es sind auch nur zwei Fahrkartenautomaten von der Deutschen Bahn so positioniert worden, dass bei Messeschluss regelmäßig ein Unfall an der Staustelle am Bahnsteig zu befürchten ist. Solche Dinge sind Berliner aber gewöhnt, während die internationalen Messebesucher nur den Kopf schütteln.
Doch ausgerechnet zur Ifa, die eigentlich Grund für einen Sonderverkehr wäre, wurde die Stadtbahn für die S-Bahn zwischen Tiergarten und Friedrichstraße komplett gesperrt. Es gibt also vom Osten der Stadt keinen direkten Zug mehr zu Messe Süd.
Die S-Bahn ist übrigens ebenfalls 100 Jahre alt geworden. Es ist also zu befürchten, dass man in vollen Zügen gemeinsam das Jubiläum feiert – im Wortsinne. Aber vielleicht wissen ja genug Messebesucher von den Baumaßnahmen. Die Ifa weist darauf allerdings nicht hin. Das Thema Nahverkehr wird auf der Besuchen-Seite einfach ausgelassen. Flixtrain und ICE werden thematisiert. Aber wie man weiter kommt? Lieber selbst rausfinden.
Die BVG warnt übrigens auch nicht. Sie sagte uns, dass sie keinen Ifa-Sonderverkehr für die U-Bahn plant und verwies darauf, dass die meisten Messebesucher ohnehin per S-Bahn kommen. Immerhin: Die BVG versprach Notebookcheck.com, dass der U-Bahnverkehr wieder normal laufen soll. Unsere Frage, ob Messebesucher die U-Bahn vermeiden sollten, verneinte die BVG.
Hintergrund sind Vorfälle, in denen gerade die Kleinprofillinien (U1-U4, schmalere Wagenkästen) Fahrgäste mit Taktlücken um die 30 Minuten zu Geschäftszeiten an Samstagen ärgerten. Normal sind Züge im 10-Minuten-Takt. Wagenmangel, Personalmangel und Wartungsstau sind daran schuld.
Auch das Großprofil leidet. Auf der U9 gilt sogar seit Montag eine neue, nochmals verschärfte Fahrplanreduktion. Die U9 ist ein wichtiger Zubringer am Zoo für die S-Bahnen zur Messe Süd. Hier sind die Probleme nachvollziehbar und seit Jahrzehnten erwartbar gewesen.
Normalerweise gab es pro Jahrzehnt eine neue U-Bahn-Generation (D56, DL65, F74, F84, H95). Doch seit der Baureihe H, die ein paar Jahre später noch kleine Updates und Auslieferungen bekam, hat sich Berlin hier nichts Neues geleistet. Bestenfalls im Jahr 2025 sind neue Züge im Großprofil (J25?) zu erwarten, das bereits durch "Blumenbretter"-Züge des Kleinprofils verstärkt wird. Die Blumenbretternutzung ist ein Verfahren aus Kriegszeiten, als aufgrund von Wagenmangel die schmaleren Züge Bretter zur Überwindung der Lücke zwischen Zug und Bahnsteigkante bekamen. Ohne diese Lösung hätte Berlin längst U-Bahn-Linien einstellen müssen. Zu nächsten Ifa sollte sich aber die S-Bahn-Situation wieder verbessern. Garantiert ist das aber nicht.
Auch die Ifa selbst zeigt sich mittlerweile offen unzufrieden. So sagte der neue Ifa-Chef Leif Lindner, der Berliner Zeitung: "In anderen Städten würde man uns den roten Teppich ausrollen" und bezieht sich dabei vor allem auf Fördergeld. Tatsächlich bekommen Messen in anderen Städten oft eine Sonderbehandlung, weil solche Veranstaltungen viel Geld in eine Stadt bringen und natürlich technischen Fortschritt bedeuten. Nicht so in Berlin. Es reicht weder für neue Rolltreppen, saubere Anlagen oder einen vernünftigen S- und U-Bahn-Verkehr.
Es ist dadurch auch davon auszugehen, dass der Ticketverkauf nicht einfacher wird. Zumal die Ifa in Social Media schon regelrechte Rabattschlachten gestartet hat, um Tickets zu verkaufen.
Quelle(n)
Eigene Recherchen