Hintergründe zur Messung des Blutzuckerspiegels | Warum bietet die Apple Watch noch keine Blutzuckermessung?
Apple und andere Unternehmen arbeiten Berichten zufolgen bereits seit Jahren daran, die Messung des Blutzuckerspiegels nicht-invasiv zu ermöglichen. Vorneweg: Dieser Artikel basiert nicht auf Insider-Erkenntnissen von forschenden Firmen, allerdings auf vertrauenswürdigen Berichten aus der Industrie und jahrelanger Erfahrung im Bereich der Spektroskopie. Wir wollen einen Einblick geben, warum denn die Entwicklung einer verlässlichen, nicht-invasiven Messung des Blutzuckerspiegels so schwierig ist - und warum Firmen offenbar große Summen investieren. In diesem Artikel wollen wir uns auf eine Messart beschränken, nämlich die Messung mit vereinfacht gesagt optischen Methoden - gleichwohl gibt es auch Ansätze, den Blutzuckerspiegel beispielsweise im Schweiß zu messen. Um zu verstehen, wie genau denn optisch überhaupt die Konzentration von Substanzen gemessen werden können, ist ein kleiner Ausflug in die Spektroskopie nötig.
Optische Messungen sind weitverbreitet - und müssen passen
Optische Messung lassen sich als spektroskopische Methoden bezeichnen. Der Hintergrund: Materie interagiert mit elektromagnetischer Strahlung - und zwar nicht immer gleich und dann konzentrationsabhängig. So adsorbieren Knochen mehr Röntgenstrahlung als Fettgewebe oder Muskelfasern, weshalb sich der gebrochene Arm gut, der Muskelfaserriss aber nicht im Röntgenbild erkennen lässt. Das Ernten nur reifer und roter Tomaten ist praktisch schon die Nutzung einer solchen Messung im optischen Bereich. Die Spektroskopie kann verschiedentlich eingeteilt werden, so etwa in Bezug auf den betrachteten Bereich der elektromagnetischen Strahlung - also beispielsweise die Photometrie mit Strahlung im sichtbaren Bereich, der IR-Spektroskopie oder der Röntgenfluoreszenzanalyse zur zerstörungsfreien Analyse von Proben. Weiterhin können quantitative und qualitative Methoden unterschieden werden - qualitativ wird bestimmt, um was für einen Stoff es sich handelt, die quantitative Analyse betrachtet die Menge. Differenziert werden kann zudem in Bezug auf die „Breite“ der Messung: Es können sowohl nur einzelne Wellenlänge als auch ein ganzes Spektrum betrachtet werden.
Auf den letzten Punkt müssen wir an dieser Stelle weiter eingehen: Die Interaktion von Materie und der elektromagnetischen Strahlung ist abhängig von der Wellenlänge. Betrachten wir zwei unterschiedliche Proben mit der gleichen Farbe, muss es nicht unbedingt auch der identische Stoff sein. Eine Möglichkeit wäre es nun, ein Spektrum - etwa auch in den IR-Bereich reichend - zu analysieren. Ergibt sich ein identisches oder sehr ähnliches Spektrum, handelt es sich wahrscheinlich um den gleichen Stoff.
Ein Problem: Erst weiß, und dann durchsichtig
Warum die Messung der Glukosekonzentration im Blut nicht ohne Weiteres mit bereits erhältlicher und in Smartwatches vorhandener Technik möglich ist, lässt sich durch ein kleines Experiment leicht zeigen. Man löse etwas Glukose oder hilfsweise Haushaltszucker in Wasser, dann gibt man noch einmal weitere Glukose hinzu. Im Resultat sieht man: Nichts. Glukose ist in gelöster Form klar, wissenschaftlich gesprochen absorbiert es im sichtbaren Spektrum nicht. Schauen wir uns im Gegensatz dazu die Messung der relativen Sauerstoffsättigung an, zeigen sich bei Desoxyhämoglobin und dem Gesamthämoglobin Absorptionen - das ist auch an der Smartwatch selbst sichtbar, die LEDs emittieren sichtbares Licht.
In der Praxis ist Glukose trotzdem messbar. Bei CGM-Systemen wird die Gewebsglukose etwa über einen amperometrischen Glukosesensor gemessen, man könnte eine solche Sensorik ganz vereinfacht als ein auf Glukose spezifisch gemachtes Multimeter betrachten. Die klassischen Blutzucker-Messgerät mit blutiger Messung und Messtreifen arbeiten heute nach einem grundsätzlich vergleichbarem Prinzip. In der chemischen Analytik kann die Glukosekonzentration nicht nur etwa chromatografisch, sondern auch photometrisch bestimmt werden - aber nicht direkt. Stattdessen wird die Glukose zu NADPH umgesetzt, welches dann bei rund 350 nm gemessen werden kann. Die Überführung in einen anderen, besser oder überhaupt erst analysieren Stoff bezeichnet man als Derivatisierung. Eine solche Derivatisierung ist bei einer nicht-invasiven Messung natürlich nicht vorstellbar.
Andere Bereiche: Mehr Möglichkeiten, aber auch Probleme
Klar ist somit, dass eine einfache, optische Messung wie etwa für die Sauerstoffsättigung für den Blutzuckerspiegel somit nicht realisierbar ist. Glukose interagiert aber mit elektromagnetischer Strahlung - nur nicht im sichtbaren Bereich. So zeigt sich eine Absorption beispielsweise in einem Bereich von rund 1.150 nm, also im nahen Infrarot-Bereich. Mit diesem Hintergrund macht auch der kürzlich veröffentlichte Bloomberg-Bericht Sinn: Dieser spricht davon, dass es Probleme mit Überhitzungen und der Miniaturisierung eines Messgeräts gibt und aktuell eher ein Messgerät in der Größe eines iPhones als implementiert in eine Apple Watch realistisch erscheint. Gesprochen wird zudem von Lasern, tatsächlich existieren Laser-Systeme für den NIR-Bereich. Diese Technik ist - allgemein gesprochen - aber noch nicht spezifisch auf die Nutzung in Wearables optimiert und dementsprechend tendenziell eher größer dimensioniert und benötigt wahrscheinlich noch eine größere, elektrische Leistung - im Laboralltag bei einem Tischgerät sind weder die größeren Abmessungen noch eine höhere Leistungsaufnahme ein Deal-Breaker, für ein Wearable aber schon.
Messung muss spezifisch und sensitiv sein
Nicht nur technologisch gibt es Herausforderungen: So ist Blut ein Vielstoffgemisch, die Messung der Blutzuckerkonzentration wäre dabei neben der Messung des Blutdrucks die Messung eines Absolutwertes, die nicht unbedingt einfach leistbar ist. So ist die inzwischen etablierte Messung der relativen Sauerstoffsättigung eine relative Messung, da das Verhältnis zwischen zwei Wellenlängen ausgewertet wird. Dies bedeutet, dass sich beispielsweise beim Zusammenziehen der Gefäße durch Kälte an dem Verhältnis nichts ändert. Bei der Messung des Blutzuckerspiegels hingegen treffen weniger Glukosemoleküle auf den wie auch immer gearteten Messtrahl, dementsprechend ist eine geringere Abschwächung der elektromagnetischen Strahlung und damit ein anderes Messergebnis zu erwarten. Insofern wären eine Kalibrierung und fortgeschrittene Algorithmen nötig. Die Herausforderung der Messung im Vergleich zur Messung der Herzfrequenz sind ebenfalls enorm: So muss zur Analyse der Herzfrequenz letztlich nur erfasst werden, dass es zu einem Pumpen kommt, völlig unabhängig von den Stoffen, die sich im Blut befinden. Bei der Glukosemessung muss Glukose - und zwar nur spezifisch nur Glukose - mit einer ausreichenden Empfindlichkeit und damit ausreichend sensitiv gemessen werden. Dazu ist es wichtig zu wissen, dass der Blutzuckerwert absolut gesehen nicht besonders hoch ist: Ein normaler Wert von 5,5 mmol/L entspricht einer Konzentration von 0,991 Gramm je Liter Blut, überschlagsmäßig also bei 0,1 Prozent - das ist zwar noch keine Spurenanalytik, aber je nach Signal-Rausch-Verhältnis auch nicht trivial.
Die Herausforderungen sind riesig, die Chancen auch
Klar ist: Wenn denn die Messung des Blutzuckerspiegels implementiert wird, muss diese auch tadellos funktionieren. Ist eine falsche Messung der Herzfrequenz oder der Sauerstoffsättigung etwa durch einen nicht optimalen Sitz der Uhr kurzzeitig verkraftbar, ist dies bei der Blutzuckermessung schlicht nicht der Fall. Eine einzelne Unterzuckerung kann tödlich enden, sowohl die Unter- als auch Überzuckerung führen über lange Zeit hin zu Folgeschäden. Insofern dürften sich - seriöse Hersteller - damit zurückhalten, Werbeversprechen aufzurufen. Eine Zertifizierung als Medizinprodukt wäre natürlich der heilige Gral, der sich auch disruptiv auf einen Teil der Medizinbranche auswirken könnte. So wird der Markt für die kontinuierliche Glukoseüberwachung für das Jahr 2028 auf 12,25 Milliarden Dollar geschätzt. Würde es einem Hersteller gelingen, eine nicht-invasive, verlässliche Glukoseüberwachung in ein Wearable zu bringen, könnte dies aktuelle Marktteilnehmer unserer Einschätzung nach stark in Bedrängnis bringen. So sind derzeit erhältliche CGM-Systeme regelmäßig neu zu setzen, wodurch sich hohe Kosten ergeben - primär für die Krankenkassen. Es ist davon auszugehen, dass Krankenkassen zur Einsparung von Kosten durchaus gewillt, eher eine Smartwatch als Einmal-Investition zu übernehmen, als dauerhaft CGM-Systeme zu bezahlen. Zum Vergleich: Der FreeStyle Libre 3 kostet für Selbstzahler (und damit ohne Rabattverträge) für 15 Tage 70,60 Euro, in einem Jahr also über 1.700 Euro.
Bildquellen
Foto von Janosch Lino auf Unsplash, von Harlie Raethel auf Unsplash, von Sweet Life auf Unsplash, Prof. Dr. Ingeborg Beckers, Beuth University of Applied Sciences