Test Leap Motion Bewegungssteuerung
Im Jahr 2012 machte ein neues Projekt zur Bewegungssteuerung die Runde durch Technik-Webseiten und Fachmagazine. Leap Motion verspricht – Achtung, PR-Kettengerassel – nichts anderes als eine bislang einzigartige Steuerung für den PC. So sollen zur Steuerung nicht nur die Hände an sich sondern auch die einzelnen Finger bis hin zu den Fingergliedern eingesetzt werden können.
Szenen wie im Film Minority Report sollen so Realität werden, mit der Hand in der Luft könnten Bilder bearbeitet und Desktopelemente neu angeordnet werden. Nach einigen Verzögerungen ist Leap Motion nun seit wenigen Tagen auf dem Markt und muss sich auch außerhalb von Werbe-Videos beweisen. Wir haben ein Gerät aus der ersten Charge ausführlich getestet und betrachten auch die Möglichkeiten, die sich aus der Technologie in Zukunft noch ergeben können. Denn eines wird schnell klar: Noch sind weder Anwendungen noch Treiber voll ausgereift.
Dennoch haben Notebookhersteller wie Asus und Hewlett Packard bereits Interesse bekundet und Kooperationen angekündigt. So soll einigen Komplettrechnern und Notebooks von Asus zuerst ein Leap-Motion-Dongle beiliegen, später wird die Bewegungssteuerung dann direkt in die Hardware integriert. Eine große Investition ist Leap Motion aber auch so nicht: Das Gerät ist direkt auf der Webseite des Herstellers für umgerechnet etwa 80 Euro zuzüglich Versandkosten zu beziehen.
Da sich Leap Motion am besten selbst oder zumindest in bewegten Bildern erleben lässt, haben wir zu diesem Test auch ein Video angefertigt.
Wir erweitern unser Team und suchen Gaming-Enthusiasten sowie Unterstützung für unsere Video-Produktion im Raum Hamburg.
Details
Lieferumfang
Leap Motion wird in einer kleinen, quadratischen Schachtel ausgeliefert. Im Gegensatz zu einigen Kickstarter-Produkten arbeitet das Unternehmen mit einem Auslieferbetrieb innerhalb der EU zusammen, so dass der Käufer keine Probleme mit dem Zoll zu befürchten hat.
Im Inneren der Verpackung findet sich die etwa iPod-große Leap Motion, zwei USB-Anschlusskabel sowie eine Pappe mit Glückwünschen zum Kauf sowie einer Webadresse. Treiber und Software muss der Käufer sich selbst herunterladen. Wo, das verrät die Schutzfolie auf der Leap Motion.
Die beiden USB-Anschlusskabel unterscheiden sich lediglich in der Länge, so dass Notebooknutzer nicht mit einem unnötig langen Kabel arbeiten müssen. Alles in allem wirkt die Hardware hochwertig. Da die Leap selbst von Aluminium umhüllt ist schaut das Gerät nicht nur gut aus, sondern steht auch sehr sicher auf dem Tisch.
Funktionsweise
Das Kernstück der Leap Motion sind zwei Tiefenkameras, die sich unter einer schützenden Schicht aus dunklem Plexiglas verbergen. Wird die Hardware via USB mit Strom versorgt, sind zwar die Kameras nicht zu sehen, wohl aber die drei unterstützend den Raum über der Leap Motion ausleuchtenden Infrarot-LEDs. Ein ähnlicher Aufbau findet sich auch bei Microsofts Kinect. Die Bewegungssteuerung der Xbox 360 und Xbox One erinnert technisch generell recht stark an Leap Motion, auch wenn Leap Motion letzten Endes einen anderen Weg zur Realisierung der Steuerung geht. Im Gegensatz zu Kinect konzentriert sich Leap Motion darauf, die unmittelbare Umgebung über der Hardware zu erfassen. Da so das sensorisch zu erfassende Feld deutlich kleiner ist als bei Kinect, kann die Hardware mit einer deutlich größeren Genauigkeit arbeiten. So werden tatsächlich auch kleinste Fingerbewegungen genau und fast latenzfrei erfasst.
Die Tiefenkameras sehen allerdings nicht allzu weit in den Raum hinein. Das erfasste Feld umspannt etwa 140–150 Grad – direkt nach oben und leicht an an den Rändern vorbei also. Im Endeffekt lassen sich so bis zu 40 Zentimeter rund um die Leap Motion mit akzeptabler Genauigkeit erfassen, mit Abstrichen sind es ein paar Zentimeter mehr. In den Randbereichen ist allerdings bereits ein teils starker Rückgang der Genauigkeit zu spüren.
Aus dieser Funktionsweise ergeben sich allerdings auch Nachteile. So ist Leap Motion nicht in der Lage durch Finger „zu schauen“, beispielsweise wenn ein Finger den anderen verdeckt. Auch zu nah beieinander liegende Finger können die beiden Kameras nur schlecht auseinanderhalten. Es handelt sich also mitnichten um ein Stück wundersamer Science-Fiction-Hardware mit Röntgenblick und sensationellen Erkennungsfunktionen, auch wenn einige Erstkäufer der Leap Motion genau so etwas offenbar erwartet haben.
Einschränkungen
Zwar scheint Leap Motion mit einigen Tricks immerhin zu versuchen, nicht zu erkennende Daten zu interpolieren, sonderlich erfolgreich agiert das Gerät dabei aber nicht. Wer nun also wie am Tablet oder Smartphone die Finger spreizen möchte um ein Bild zu zoomen, sollte dabei aufpassen, dass nicht versehentlich ein Finger den anderen verdeckt, ansonsten endet die Geste als missglückter Versuch in Form eines hilflos zappelnden Zeigers.
Generell, nervöses Zappeln haben wir des öfteren erzeugen können – zuerst beim Zeiger auf dem Bildschirm und dann, nach zahlreichen missglückten Versuchen der Bedienung, auch bei uns vor dem Monitor. Vor allem die App „Touchless for Windows“, mit der sich die Windows-Oberfläche per Finger bedienen lassen soll, erzeugte beim Tester des öfteren verzweifelte Seufzer aufgrund des hyperaktiven Zeigers und nicht funktionierender Bewegungs-Gesten.
In vielen Fällen zeigt sich aber auch, dass Leap Motion als reine Hardware durch die Software noch lange nicht ausgereizt wird. So täte vielen im Leap Motion Appstore Airspace verfügbaren Programmen etwas Überarbeitung bei der Steuerungsmethode gut. Einige gut umgesetzte Programme jedoch beweisen: es geht auch gut.
Anwendungen
Die PR-Videos von Leap Motion zeigten unter anderem einen Spieler, der einen Shooter mit den Finger steuert. Hier scheint ein wenig der Optimismus mit den Entwicklern durchgegangen zu sein – so weit, dass sich komplexe Bewegungsmuster mit Leap Motion steuern lassen, sind wir noch lange nicht. Und so finden sich im Store aktuell bevorzugt einfache Spiele mit eingeschränkten Bewegungsmustern für die Steuerung. Teilweise handelt es sich gar um die kostenpflichtige Umsetzung von ansonsten gratis spielbaren Smartphone-Spielen. Hier zeigt sich im Direktvergleich, dass Leap Motion bei diesen Umsetzungen nicht an die Steuerung per Touchscreen heranreichen kann.
Im Gegenteil, Leap Motion würde geschickt programmierte Anwendungen benötigen, die auf die Tücken der Hardware eingehen und sie umschiffen. Solche Programme gibt es aktuell jedoch kaum.
Im Airspace kann nur per Kreditkarte bezahlt werden. Da viele Programme zwischen 2 und 5 US-Dollar kosten, reizt es den Leap-Nutzer schnell, die Kreditkartendaten zu hinterlegen. Wir können zum aktuellen Zeitpunkt allerdings nur davon abraten, zu wenig durchdacht sind viele der für mehrere Dollar angebotenen Anwendungen. Das mag sich in einigen Monaten mit zunehmender Erfahrung der Entwickler ändern, hilft den Leap-Erstkäufern aber nur wenig.
Gut bedienbar war beispielsweise der Breakout-Clone Boom Balls. Hier wird mit dem Finger ein Schläger gesteuert, von dem der im Spielfeld Blöcke zerstörende Ball abprallen sollte. Je nach Haltung der Hand lässt sich sehr bequem auch der Winkel des Schlägers steuern. Einige Extras erzeugen zudem einen Laserstrahl, mit dem auf Blöcke gezielt werden kann um sie sofort zu vernichten. Die Steuerung ist durchdacht, nicht zu nervös und sehr zuverlässig. Der Frust-Faktor bei diesem Spiel ist erfreulich gering.
Gleiches gilt für Vitrun Air, das ein wenig an das alte Marble Madness erinnert. Eine Kugel muss mit vorsichtigen Handbewegungen eine mit allerlei Hindernissen gespickte Bahn entlang bewegt werden – auch hier ist die Steuerung nicht zu sensibel und ermöglicht eine sehr angenehme und intuitive Steuerung der Kugel.
Absolut unbedienbar hingegen waren Apps wie der Drumcomputer Airbeats. Die richtigen Felder zu treffen war selbst nach mehreren Updates reine Glückssache. Google Earth hingegen lässt sich bedienen, erfordert aber viel Übung - und bringt auch dann mit der Maus deutlich mehr Spaß und schnellere Ergebnisse. Eine recht gut bedienbare Anwendung hat die New York Times kostenfrei bereitgestellt: Die Nachrichtenapp wird durch Drehen des Fingers gesteuert. Anfangs funktioniert das noch sehr gut, auf Dauer ermüdet der Arm jedoch stark.
Unter Umständen gewinnt Leap Motion mit sinnvoll optimierten Plugins für CAD- und 3D-Modelling-Tools an Bedeutung. Testen konnten wir das aktuell jedoch nicht. Auch bei solchen Anwendungen sollte die Ermüdung der Arme nicht außer Acht gelassen werden, immerhin müssen Finger oder Hand dauerhaft in der Luft gehalten werden.
Fazit
Die Grundidee einer nach oben gerichteten Tiefenkamera um auch kleinste Bewegungen von Fingern oder Stiften einfangen und auswerten zu können ist generell sehr gut. Leap Motion setzt die Idee gut um und bietet viel Potential für zukünftige Anwendungen. Ein Betriebssystem-Aufsatz mit wirklich durchdachter Leap-Anpassung könnte das in den ersten Werbevideos beschworene Minority-Report-Feeling durchaus aufkommen lassen.
Im aktuellen Entwicklungsstand jedoch sind die meisten verfügbaren Programme bestenfalls frickelig zu bedienende Spielereien bei denen sich der Nutzer sehr schnell nach seiner Maus zurücksehnt.
Wer sich die Leap Motion zu einem Preis von etwa 80 Euro zuzüglich Porto direkt auf der Webseite der Entwickler bestellt, sollte sich daher der Eigenarten und Einschränkungen der Leap Motion bewusst sein. Übereinander liegende oder zu nahe beieinander liegende Finger lassen sich nicht erkennen, was einige vom Smartphone bekannte Gesten unmöglich macht. Der Nutzer und vor allem auch die Softwareentwickler müssen umdenken um eine brauchbare Steuerung zu etablieren.
Zum aktuellen Zeitpunkt können wir normalen Nutzern daher nur vom Kauf der Leap Motion abraten. Sollte es den Entwicklern gelingen, die Eigenarten der Leap in den Griff zu bekommen, könnte sich Leap Motion vor allem im Bereich der 3D-Modellierung durchaus etablieren. Ob sich die Bewegungssteuerung allerdings für Spiele sinnvoll nutzen lässt ist aktuell noch fraglich. In Verbindung mit VR-Umgebungen wie der Oculus Rift könnte sich ein neuer Markt erschließen – aber auch hier müssen erst einmal durchdachte Anwendungen her.
Die Kooperation von Asus und HP um Leap Motion mit neuen All-in-One-Computern und Notebooks anzubieten, klingt nach unserem Test der Bewegungssteuerung eher wie ein Werbegag. Unter Umständen verhilft aber eben diese Partnerschaft der Hardware zu größerer Verbreitung und damit vielleicht auch zu besserer Software. Bis dahin raten wir zu Geduld und von vorschnellen Anschaffungen der Leap Motion ab.