Micro-Targeting-Werbung für umstrittene Chatkontrolle: Datenschutz-Beschwerde gegen EU-Kommission
Offenbar hat die EU-Kommission, speziell die Generaldirektion Migration und Inneres, im September 2023 eine Werbekampagne auf X, vormals Twitter gestartet. Laut Recherchen hat die Institution einen Tag nachdem klar wurde, dass der Ratsvorschlag zur umstrittene Chatkontrolle keine Mehrheit unter den Mitgliedsstaaten bekommen würde, in den Staaten Niederlanden, Schweden, Belgien, Finnland, Slowenien, Portugal und der Tschechischen Republik mehr als 3 Millionen ausgespielte Werbevideos auf X geschaltet. Die schon moralisch bedenkliche Werbekampagne könnte der europäischen Institution nun auch rechtlich auf die Füße fallen.
Denn die Datenschutzorganisation noyb („none of your business“) hat nun Beschwerde gegen die EU-Kommission eingereicht und wirft ihr vor europäisches Datenschutzrecht verletzt zu haben, indem bei der Werbekampagne sensible Nutzerdaten ausgewertet und für sogenanntes Micro-Targeting auf X missbraucht wurden.
Micro-Targeting bezeichnet die Praxis Nutzerdaten auszuwerten und Werbebotschaften nur bestimmten Nutzergruppen auf Grundlage dieser Daten zukommen zu lassen. Im vorliegenden Fall hat die EU-Kommission die Werbebotschaften für die Chatkontrolle ganz gezielt nur an Personen verschickt, die nicht an Hashtags wie #Qatargate, Brexit, Marine Le Pen, Alternative für Deutschland, Vox, Christian, Christian-phobia oder Giorgia Meloni interessiert sind.
Damit hat die EU-Behörde bestimmte Zielgruppen nach politischen und religiösen Kriterien von der Anzeige ausgeschlossen. Dabei ist diese Art der Werbung sogar in den Werberichtlinien von X selbst untersagt. Auch der EU-Datenschutzbeauftragte hat sich mittlerweile in den Fall eingeschaltet, da das Vorgehen gegen die DSGVO verstoßen könnte.
Hinzu kommt, dass der Inhalt der von Innenkommissarin Ylva Johansson (Sozialdemokraten) auch noch irreführend war. In den Werbevideos wurde unter anderem behauptet, dass 95 Prozent der niederländischen Bürger der Meinung seien, dass die Aufdeckung von Kindesmissbrauch wichtiger oder genauso wichtig sei wie ihr Recht auf Privatsphäre. Dabei stammen die Daten aus umstrittenen Meinungsumfragen der EU, bei deren sehr allgemein gehaltenen Fragestellungen die negativen Auswirkungen einer Chatkontrolle nie erwähnt werden und somit hohe Zustimmungswerte zur Chatkontrolle suggeriert werden sollen. Andere Umfragen zum Thema zeichnen dabei ein konträres Bild.
Zudem haben Recherchen diverser europäischer Medien eine große Nähe der EU-Kommissarin zu großen Lobbynetzwerken nachgezeichnet, wie IT- und KI-Firmen zusammen mit Stiftungen, NGOs, Sicherheitsbehörden und PR-Agenturen seit Jahren für eine Chatkontrolle lobbyieren.