Kolumne: Touch me, I wanna be dirty!
von Florian Wimmer 02.03.2010
BerührungsEmpfindlich.
Mein MP3-Player tut es, der Bankautomat, mein Handy natürlich, das Ceran-Feld, und sogar die deutsche Bahn hat es mittlerweile ihren Automaten ganz gut beigebracht: Sie alle reagieren auf bloße Berührung durch den Nutzer. Kein Knöpfchendrücken mehr, keine extra Eingabefelder: Alles läuft direkt über den Bildschirm. Das ist wahnsinnig intuitiv. Oder?
Verzweifelte Omas stehen an deutschen Bahnhöfen vor einem roten Kästen und suchen verzweifelt nach einem Knopf, den man drücken könnte. Aber, es gibt keinen. Die Bahn hat in ihren Automaten Touchscreens integriert: Bildschirme, die direkt auf Berührung durch den Benutzer reagieren. Leider war die erste Generation dieser Automaten aber eher damit beschäftigt, einen Mauszeiger anzuzeigen, der einem sagte, dass man gerade neben die Schaltfläche gedrückt hat, anstatt darauf. Hatte man natürlich doch, das System hatte nur den Berührungspunkt falsch bestimmt.
Ticket nur gegen Touch
Nach zwei oder drei Jahren des kollektiven Haareraufens an deutschen Bahnhöfen entschloss sich die Bahn dann doch, eine neue Generation von Automaten aufzustellen, die schneller war und zuverlässiger funktionierte. Die suchenden Omas vor den roten Geräten gibt es aber immer noch.
Warum setzte die Deutsche Bahn also auf ein Bedienkonzept, das vor allem ältere Kunden offensichtlich überfordert und anfangs selbst jüngere durch seine Ungenauigkeit zur Verzweiflung brachte?
Weil die Industrie jahrelang die Vorteile der Touchscreens anpries: Viel weniger mechanische Teile, die verschmutzen oder kaputt gehen können, dadurch weniger Wartungsaufwand, das Bedienkonzept kann jederzeit relativ problemlos geändert werden, man kann auch einfach mal was ausprobieren, während man sich bei einer fest eingebauten Tastatur im Vorhinein entscheiden muss, welche Tasten man einbaut. Geringerer Aufwand in der Softwareproduktion und die höhere Vandalensicherheit spielen wohl ebenso eine Rolle. Und Menschen, die das Bedienkonzept nicht verstehen, können ja, gegen einen geringen Aufpreis natürlich, die an jedem,... äh fast jedem Bahnhof vorhanden „Service-Counter“ nutzen.
Hat das System denn nun auch irgendeinen Vorteil für den Kunden? Zugegebenermaßen funktionieren die neuen Touchscreens der Bahn ganz anständig und wenn man erst einmal weiß, wie eine Buchung vor sich geht, kann man sie mittlerweile innerhalb relativ kurzer Zeit erledigen. Aber das hat früher mit einer normalen Tastatur oder am Fahrkartenschalter (ja, ein antiquiertes Wort) auch funktioniert.
Nicht nur am Bahnhof begegnen uns ständig Bildschirme, die uns auffordern, sie zu berühren: Auch im eigenen Haus und natürlich am Schreibtisch hält der Touchscreen nach und nach Einzug. Dabei hat man das Gefühl, dass es ziemlich lange gedauert hat, von den ersten Touchscreens bis zu ihrer wirklichen Verbreitung.
Das hängt vielleicht damit zusammen, dass 36 Jahre nach der Erfindung des Touchscreens immer noch keine einzigartige und wirklich wichtige Anwendung für den Touchscreen gefunden wurde. Zumindest nicht für den Endverbraucher. So kann man zwar lustige Bilder malen oder seine Fotos per Fingerzeig vergrößern und Apple macht mit seinen Touchhandys und Tablet-PCs Furore, aber wirklich intuitiver und schneller funktioniert die Bedienung per Touchscreen in den allermeisten Fällen nicht.
Touch me multi!
Als Laptoptester bekommt man viele Geräte in die Hand, die teilweise mit Touchscreens, in den aller-, allermeisten Fällen aber zumindest mit einem Touchpad ausgerüstet sind. Dessen Technik ist inzwischen jahrelang erprobt und funktioniert meist reibungslos als Mausersatz.
Allerdings haben sich die Ingenieure in ihrer Panik über den iPhone-Erfolg ein neues Bedienkonzept ausgedacht, das dort scheinbar viele Nutzer überzeugt: Multi-Touch-Gesten. Das Touchpad soll also erkennen, wenn mehrere Finger darauf platziert sind und dann auch noch die Gesten erkennen, die diese Finger machen, um Bilder zu vergrößern oder Seiten zu scrollen. Manchmal funktioniert das, manchmal nicht. In den allermeisten Fällen ist man mit den Windowseigenen Funktionen mindestens genauso schnell.
Touchsinn?
Eine für den Verbraucher besonders unsinnige Entwicklung sind berührungsempfindliche Tasten: Sensorfelder, die auf eine bloße Berührung reagieren. MP3-Player, Laptops, sogar Ceran-Kochfelder und Waschmaschinen sind mittlerweile damit ausgerüstet. Das Problem: Der Nutzer hat keine Möglichkeit zu wissen, ob sein Tastendruck erfolgreich war: Wo ein normaler Knopf eine taktile Rückmeldung liefert, geben die Touchbuttons einfach gar nichts. Zudem leiden die Tasten unter Ungenauigkeit und schlampiger Programmierung.
Ein Beispiel: Auch Dell folgt dem Trend zu berührungsempfindlichen Tasten und verbaut bei seinem Studio 17 oberhalb der Tastatur eine Leiste, die leuchtende Symbole für die Lautstärkeregelung, die Multimediasteuerung und den DVD-Auswurf beinhaltet. So ganz traut Dell seiner Innovation aber scheinbar selbst nicht: Alle Funktionen sind parallel über die F-Tasten erreichbar. Die reagieren auch auf jeden Tastendruck. Natürlich ist der Touchbereich glänzend lackiert, so dass sich schnell Fingerabdrücke ansammeln. Wenn man diese im laufenden Betrieb erkennt und sie entfernen möchte, fährt plötzlich die DVD aus dem Laufwerk, die Lautsprecher verstummen und der nächste Titel aus der Playlist wird abgespielt. Das war natürlich genau das, was man mit dem Abwischen erreichen wollte... oder?
Nach dem guten alten Prinzip des Function-follows-form wird beim Einbau von Touch-Technik offensichtlich nur noch selten vorgegangen: Die scheinbar als hässlich empfundenen Drehknöpfe des klassischen Herds sind verschwunden und einer glatten Glasfläche gewichen, der man nun durch Berührung von kryptischen Symbolen sagen muss, welche Heizstufe man gerne für die Herdplatte mit dem Spaghetti-Topf hätte. Im besten Fall gibt es noch ein Plus- und Minusfeld, im schlimmsten drückt man neunmal auf die Schaltfläche (nicht erkannt Berührungen nicht eingerechnet), bis die Heizstufe neun erreicht ist. War der Drehknopf da nicht irgendwie schneller?
Und was macht man übrigens, wenn die Spaghetti überkochen und das kochende Wasser über die Schaltflächen läuft? Dann heißt die Wahl wohl Finger verbrühen oder weiter überkochen lassen.
Touch the future?!
Natürlich entwickelt sich die Bedienung per Berührung immer weiter und hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht: Mittlerweile funktioniert es an den meisten Automaten ganz gut, Apples iPhones verkaufen sich blendend und Spieleentwickler erfinden für Nintendos DS immer neue, kreative Anwendungen für den Touchscreen. Die Technik wird immer brauchbarer und macht inzwischen sogar manchmal Spaß.
Allerdings sollten die Hersteller trotzdem überlegen, ob blinder Einsatz der Touchflächen wirklich Sinn macht: Berührungsempfindliche Flächen zur Steuerung jedes einzelnen Computers und Haushaltsgerätes? Vielleicht stellt manchmal doch der gute alte Knopf eine bessere Lösung dar.
Die Frage ist natürlich immer auch für wen eine Lösung besser ist: Ob die Benutzer mit einer unpraktischen Steuerung dastehen, kümmert manche Hersteller nach dem Kauf scheinbar wenig, solange sich durch das glattere Design die Geräte gut verkaufen. Außerdem müsste man ja ohne den Einsatz der Touchflächen das Risiko in Kauf nehmen, einen wichtigen Trend zu verschlafen.
Insgesamt geht es den Omas also vielleicht gar nicht so schlecht: Zwar stehen sie am Bahnhof verzweifelt vor dem Automaten, dürfen ihren alten Herd aber wenigstens noch per Drehknopf bedienen. Aber mal sehen, vielleicht lieben die Omas in 30 Jahren ihren Touch-Ofen und wir unseren tastaturlosen Laptop.