Kommentar | Das Xiaomi 12S Ultra schraubt Leica M Objektive vor einen 1 Zoll Sensor, übersieht aber Probleme
Das Xiaomi 12S Ultra Konzept-Smartphone sieht auf den ersten Blick aus wie der Traum jedes Smartphone-Fotografen, denn das Gerät kann bei Bedarf kurzerhand mit einem von hunderten Objektiven kombiniert werden, die eigentlich für das Leica M System bestimmt sind. Doch warum hat bisher kein Smartphone-Hersteller ein Flaggschiff mit einem derartigen Bajonett vorgestellt?
Die beiden offensichtlichsten Gründe sind die Größe und der Verlängerungsfaktor. Leica-Objektive mögen vergleichsweise kompakt sein, allerdings darf das Auflagemaß nicht verändert werden, sprich der Abstand zwischen Objektiv und Kamera-Sensor muss auch am Xiaomi 12S Ultra so groß wie an einer Leica M11 sein, muss also 2,78 Zentimeter betragen. Das führt zu einem sehr großen Adapter, wie die Fotos unten zeigen.
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Andererseits ist der 1 Zoll Sensor des Xiaomi 12S Ultra deutlich kleiner als der Vollformat-Sensor einer Leica M. Das führt dazu, dass nur ein Ausschnitt aus dem Bildkreis eines Objektivs verwendet werden kann, der Verlängerungsfaktor beträgt 2,7. Das bedeutet, dass ein Leica Summilux-M 35 mm f/1.4 Objektiv am Xiaomi 12S Ultra was Bildausschnitt und Tiefenschärfe angeht wie ein 95 mm f/3.4 Objektiv arbeitet.
Das macht es praktisch unmöglich, das System als lichtstarke Weitwinkel-Kamera einzusetzen, denn selbst das Leica Summilux-M 21 mm f/1.4 wird zu einem 57 mm f/3.4 Objektiv, ganz zu schweigen davon, dass dieses ausgesprochen komplexe Objektiv weitaus größer und schwerer ist als ein Leica Summilux-M 50 mm f/1.4. Voigtländer bietet zwar ein 10 mm f/5.6 Objektiv für die Leica M an, sodass theoretisch eine Kleinbild-äquivalente Brennweite von 27 mm zur Verfügung steht, das Ultraweitwinkel ist aber um ein Vielfaches größer und schwerer als ein Leica Elmarit-M 28 mm f/2.8.
Xiaomi könnte den Verlängerungsfaktor durch eine Optik, die das Licht bündelt, teilweise kompensieren, genau wie dies auch von Adaptern wie dem Mitakon Lens Turbo gemacht wird. So könnte nicht nur das Bildfeld der Objektive vergrößert werden, die Tiefenschärfe wird zeitgleich kleiner. Ein derartiger Adapter führt allerdings neue Linsenelemente in das optische System ein, was sich negativ auf die Bildqualität auswirken würde, und das Gewicht und die Produktionskosten des Adapters signifikant erhöht.
Abseits dieser beiden Probleme lässt auch Xiaomis Implementierung zu wünschen übrig. Der riesige Adapter unterstützt keinen Autofokus, obwohl seit Jahren entsprechende Adapter für Leica M-Objektive angeboten werden, die den Abstand vom Objektiv zum Sensor durch einen Motor verändern, um dieses zu fokussieren.
Das Konzept-Smartphone von Xiaomi besitzt auch keinen Sensor, der die 6-Bit-Codierung an Leica M-Objektiven lesen kann. Dadurch ist es einerseits unmöglich, die korrekte Brennweite in den Metadaten eines Fotos auszuweisen, andererseits können so auch keine Objektiv-spezifischen Bildkorrekturen angewandt werden, etwa für optische Verzerrungen – ein Feature, das schon die Leica M9 aus dem Jahr 2009 beherrscht.
Xiaomi hat es auch versäumt, den Adapter mit einem Mechanismus auszustatten, der die Bewegung der Messsucher-Kopplung des Objektivs, und damit das Drehen des Fokusrings, erkennen kann. Das würde es dem Xiaomi 12S Ultra erlauben, den Bildausschnitt automatisch zu vergrößern, während der Nutzer fokussiert, wie es auch digitale Leica M Kameras handhaben.
Die Aussicht, künftig Leica M Objektive an einem Smartphone verwenden zu können, ist spannend. Allerdings lässt Xiaomis Umsetzung noch viel Spielraum für Verbesserungen. Falls Xiaomi je ein derartiges Smartphone auf den Markt bringt, muss der Konzern an einigen Stellen dringend nachbessern. Schließlich dürften Kunden, die 12.800 Euro für das Leica Noctilux-M 75 mm f/1.25 bezahlen, nicht sonderlich erpicht darauf sein, das Objektiv als 200 mm f/2.8 zu verwenden, den Großteil des Bildkreises ungenutzt zu lassen und beim manuellen Fokussieren größere Schwierigkeiten als nötig zu haben.