Kommentar | Das Design des neuen Apple iMac wandelt auf einem schmalen Grat zwischen Genialität und Wahnsinn
Apple hat gestern einen brandneuen iMac auf Basis des M1 ARM-SoC vorgestellt, den man unter anderem bereits vom MacBook Air (ca. 1.040 Euro auf Amazon) kennt, das im vergangenen Herbst vorgestellt wurde. Der neue Chip bietet einerseits eine deutlich bessere Performance im Vergleich zum älteren 21,5 Zoll iMac mit Intel-Prozessor, er benötigt andererseits aber auch wesentlich weniger Energie.
Dadurch entsteht weniger Hitze, weswegen Apple auf ein deutlich kleineres Kühlsystem setzen kann. Diese Gelegenheit hat der Konzern genutzt, um dem iMac einen komplett neuen Look zu verpassen – nur sieht der Computer nicht so aus, wie es Kunden erwartet hätten. Weiße Bildschirmränder findet man sonst bei kaum einem Computer, ein derart breites Kinn schon gar nicht. Doch warum behält der iMac auch im Jahr 2021 sein Kinn? Die Antwort ist auf den unten eingebetteten Bildern zu sehen.
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Denn Apple hat den gesamten Computer in das Kinn verfrachtet – mit einer Dicke von nur 11,5 Millimetern ist der iMac derart dünn, dass das schlanke Mainboard mit den zwei kleinen Lüftern nicht hinter das Display passt. Das hat technisch immerhin den Vorteil, dass hinter dem Bildschirm deutlich weniger Hitze entsteht, wodurch das Display geschont wird – ältere iMacs waren geradezu berüchtigt für Einbrenn-Probleme.
Um eine derart schlanke Silhouette zu erreichen musste Apple auch anderweitig improvisieren. So befindet sich der Kopfhöreranschluss etwa an der Seite, weil der Stecker tatsächlich breiter ist als der Computer, sodass Apple den Port gar nicht hinten platzieren hätte können.
Unerwartete Innovationen gibt es auch an anderer Stelle. So hält das Stromkabel beispielsweise magnetisch, obwohl dieses bei einem Desktop wohl nicht allzu häufig aus- und eingesteckt werden dürfte. Statt der breiten Anschluss-Auswahl des Vorgängers finden sich auf der Rückseite nur noch zwei Thunderbolt-Anschlüsse (USB-C), teurere Modelle bekommen zwei zusätzliche USB-C-Ports.
Der Standfuß ist nicht höhenverstellbar, das Display lässt sich lediglich neigen. Selbst die Farben erinnern an alles, nur nicht an Computer, ein Modell in Schwarz wird nicht einmal angeboten. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie ein Designer bei HP oder bei Dell derartige Vorschläge macht und vom Management nicht etwa belohnt, sondern zurechtgewiesen wird. Denn wenn es darum geht, einen modernen Computer zu entwickeln, hat der iMac das Thema weit verfehlt.
Doch genau darin liegt die größte Stärke des Designs. Genau wie der iMac G3 zu seiner Zeit untergräbt Apple die Erwartungen, was einen modernen Computer ausmacht. Dünne Bildschirmränder? Viele Anschlüsse? Schwarzes oder weißes Gehäuse? Fehlanzeige.
Stattdessen erinnert der iMac eher an ein Möbel, das man bei Ikea finden würde. Erhältlich in Farben, die zu jeder Einrichtung passen, klein genug, um keinen ganzen Schreibtisch für sich zu beanspruchen und dabei doch ein vollständiges Paket, samt hochwertiger Lautsprecher, einer 1.080p-Webcam mit ordentlicher Qualität für die mittlerweile unausweichlichen Videochats und einer Tastatur mit Fingerabdrucksensor, die Passwörter überflüssig machen kann.
Der neue iMac ist der perfekte Computer für eine Welt nach der Pandemie, in der Computer für viele Menschen ein notwendiger Bestandteil des Lebens geworden sind. Indem Apple mit Design-Traditionen des vergangenen Jahrzehnts bricht hat das Unternehmen keinen modernen Computer geschaffen, sondern ein Haushaltsgerät, das im heutigen Alltag unverzichtbar geworden ist.