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Blutdruck, Blutzucker und EKG: Hintergründe und Test der iHEAL 6 - hier droht Gesundheitsgefahr

Moderne Smartwatches können zahlreiche Parameter messen - die Kospet iHEAL 6 angeblich sogar den Blutzuckerspiegel und Blutdruck. Wir werfen einen Blick auf die Hintergründe der Messungen und bewerten deren Richtigkeit im Vergleich zu Medizinprodukten.
Die iHEAL 6 soll Blutzucker und Blutdruck messen können
Die iHEAL 6 soll Blutzucker und Blutdruck messen können

Die iHEAL 6 wird von Kospet mit einem enormen Funktionsumfang beworben. In diesem Artikel nähern wir uns - unter Zuhilfenahme medizinischer Messgeräten und nicht ohne Einschränkungen - den Werbeversprechen kritisch.

Optische Messung von Blutdruck und Blutzucker ist nicht unmöglich

Der Blutzuckerspiegel und der Blutdruck lassen sich - grundsätzlich - photometrisch bestimmen. So ist die Wechselwirkung zwischen Glucose und elektromagnetischen Wellen erfassbar, der Glucosegehalt einer Lösung damit entsprechend messbar. Im Laborumfeld erfolgt die Messung von Glucose mit einem Photometer häufig nach einer enzymatischen Umsetzung. Die optische Messung des Blutdrucks ist durch mehrere Galaxy-Smartwatches von Samsung möglich, benötigen dafür aber eine Stützkalibrierung.

Die beworbenen Features der Kospet iHEAL 6 sind somit nicht physikalisch unmöglich. Bei der optischen Messung des Blutzuckerspiegels und zumal ohne Kalibrierung handelt es sich aber in gewisser Weise um einen heiligen Gral. Damit würde es sich um das erste, praxistaugliche nicht-invasive Verfahren zur Messung des Blutzuckerspiegels handeln - da keinerlei Verbrauchsmaterial in Form von Blutzuckerteststreifen oder Pods nötig wäre, würde sich eine erhebliche Kosteneinsparung ergeben. Dass diese Funktion insbesondere von günstigen Smartwatches aus Fernost geleistet werden soll, lässt aufhorchen.

EKG-Messung durch Wearables ist etabliert

Mehrere Wearables - darunter etwa die Apple-Watch - unterstützen die Anfertigung eines EKGs. Es handelt sich dann um ein 1-Kanal-EKG, welches allerdings bereits bestimmte Unregelmäßigkeiten des Herzes feststellen kann. Das Messprinzip ist im Vergleich zur optischen Messung in gewisser Weise direkter, so werden die Herzströme gemessen. Im medizinischen Bereich wird aufgrund der größeren Aussagekraft oft mit einem 12-Kanel-EKG gearbeitet.

Über Messwerte und Blutdruck

Alltäglicher Begleiter der Berechnung der Messunsicherheit: Die Normalverteilung (Symbolbild, Elias Tsolis)
Alltäglicher Begleiter der Berechnung der Messunsicherheit: Die Normalverteilung (Symbolbild, Elias Tsolis)

Zur Einordnung der gemessenen Werte ist die Natur selbiger zu beachten. Gemessene Werte stellen dabei nicht die wahren Werte dar, welche im Regelfall kaum einwandfrei feststellbar sind- es sei denn, man dotiert beispielsweise im Labor-Umfeld eine (ebenfalls mit Unsicherheit behaftete) Vergleichsprobe. Ein Messwert ohne Angabe der Messgenauigkeit ist im Alltag in vielen Fällen - etwa beim Ausmessen von Möbeln - akzeptabel, etwa im medizinischen oder chemisch-analytischen Umfeld aber im schlimmsten Fall wertlos. Die Messabweichung als Parameter gibt dabei die Abweichung eines gemessenen Werts vom wahren Wert an. Als Messgenauigkeit kann angegeben werden, in welchem Bereich um einen gemessenen Wert sich der wahre Wert mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit befindet. Die Bedeutung dieser Parameter lässt sich an einem Beispiel erklären: Ist eine Lieferung von einem Material mit einer Reinheit von 85 Prozent vereinbart und misst man mit einer Methode mit einer Messunsicherheit von 2 Prozent einen Gehalt von 84 Prozent, ist auf Grundlage dieser Messung eine Reklamation schwer möglich.

Auch ein medizinisches Blutdruckmessgerät ist mit einer Messunsicherheit behaftet (Symbolbild, Mockup Graphics)
Auch ein medizinisches Blutdruckmessgerät ist mit einer Messunsicherheit behaftet (Symbolbild, Mockup Graphics)

Das als Referenz genutzte Blutdruckmessgerät BM27 weist eine Messunsicherheit von 8 mmHg für den systolischen und diastolischen Blutdruck auf. Die Kenntnis der Messunsicherheit des Referenzgeräts ist auch für die Bewertung der Genauigkeit der Güte der Messung der von uns getesteten Smartwatch relevant: Selbst wenn die Messwerte zwischen dem Blutdruckmessgerät und der Smartwatch um 15 mmHg abweichen, spricht dies nicht unbedingt gegen die Smartwatch. Im schlimmsten Fall könnte sich nämlich die Blutdruckmessung des Referenzgeräts beispielsweise am unteren Ende der akzeptablen Messabweichung befinden und die Smartwatch am oberen Ende - und trotzdem jeweils nicht mehr als 8 mmgHg vom wahren Wert abweichen.

Blutzuckermessung ist immer nur begrenzt genau

Selbiges gilt für die Messung des Blutzuckerspiegels. Die entsprechende DIN EN ISO-Norm 15197:2015 fordert bei Messwerten unter 5,6 mmol/l eine Abweichung von höchstens 0,8 mmol/l vom wahren Wert, bei Werten über 5,6 mmol/l darf die Abweichung dann bei bis zu 15 Prozent liegen. 95 Prozent der gemessenen Blutzuckermesswerte müssen sich in diesem Bereich befinden. Als Referenzgeräte dienen zugelassene Blutzuckermessgeräte vom FreeStyle und für die längere Messung ein Omnipod 5. Dabei erfolgt die Messung an zwei unterschiedlichen Personen, wobei uns für den Test sowohl physiologische („normale“) als auch pathologische („krankhafte“) Messwerte zur Einschätzung der Messgenauigkeit der Uhr zur Verfügung stehen. Dabei ist die Einbeziehung eines Diabetikers im Grunde zwingend erforderlich: Der Blutzuckerspiegel wird bei stoffwechselgesunden Personen in engen Grenzen reguliert und erreicht im Regelfall keine Werte über 7,8 mmol/l. Dementsprechend liegt eine Uhr, die zufällige Werte im Normbereich anzeigt, ohne tatsächlich zu messen, bei stoffwechselgesunden Personen mit recht hoher Genauigkeit „richtig“.

Bewertung des EKGs nur eingeschränkt möglich

Die iHEAL 6 bewertet das EKG nicht nur, sondern kann dieses grafisch ausgeben
Die iHEAL 6 bewertet das EKG nicht nur, sondern kann dieses grafisch ausgeben

Die Bewertung der Güte des integrierten EKGs ist ebenfalls nicht trivial - und kann von uns nur beschränkt geleistet werden. Zu trennen ist an dieser Stelle die messtechnische Aufnahme des EKGs von der computergestützten, automatischen Auswertung des Elektrokardiogramms. Die Aufzeichnung können wir bewerten. Die iHEAL 6 gibt das EKG nämlich auf Wunsch auch grafisch aus. Mit medizinischem Vorwissen lässt sich so erkennen, ob die Darstellung angemessen erfolgt. Der Richtigkeit können wir uns ebenfalls nähern: Uns steht ein professionell angefertigtes EKG derselben Person als Vergleich bereit.

Lassen sich beispielsweise (hoffentlich nur) physiologische Auffälligkeiten sowohl in der von der Uhr erzeugten Darstellung als auch dem Ausdruck des professionellen EKGs identifizieren, ist dies ein sehr starkes Indiz dafür, dass die iHEAL 6 tatsächlich ein taugliches EKG anfertigen kann. Dabei ist zu beachten, dass es sich nur um ein 1-Kanal-EKG mit beschränkter Aussagekraft handelt, welches beim normalen Tragen die Ableitung I nach Eindhoven darstellt. Nicht bewerten können wir hingegen, ob die Uhr die richtigen Schlüsse zieht: Uns fehlt schlicht ein Proband etwa mit Herzrhythmusstörungen.

An dieser Stelle soll noch erwähnt werden, dass wir auf eine ausführliche Bewertung des Systems als Smartwatch verzichten. In den umfangreichen Tests hat sich die Uhr aber als durchaus helle, ordentlich verarbeitete und von Design-Sünden verschonte Uhr herauskristallisiert.

Die beworbene Blutzuckermessung versagt komplett

Die iHEAL 6 wird mit einer Messung des Blutzuckerspiegels beworben. Wir haben es in der News bereits angeschnitten: Die Blutzuckerkurve wirkte auf uns ein wenig atypisch, im Test stellt sich heraus: Die iHEAL 6 ist nicht in der Lage, den Blutzuckerspiegel tatsächlich zu messen. Wie bereits geschildert ist die Messung nur im physiologischen Bereich zur Überprüfung der Güte nicht ausreichend, pathologische Messwerte zeigen hingegen eine riesige Abweichung.

iHEAL 6 Dexcom Messstreifen
Alle Angaben im mmol/L
5,7 10,4 8,8
7 2,3 3,8

Es zeigt sich deutlich: Die iHEAL 6 kann weder eine Unterzuckerung- noch eine Überzuckerung erkennen. Bei einer Unterzuckerung wird gar ein höherer Wert als bei Überzuckerung angezeigt, alle im Rahmen des Testes erzeugte Werte der iHEAL 6 liegen im Normbereich. Für Typ-1-Diabetiker ist die Benutzung der iHEAL 6 dabei potenziell lebensgefährlich, wenn sich ausschließlich auf die Uhr verlassen wird und etwa eine Unterzuckerung erst zu spät erkannt wird. Patienten mit Typ-2-Diabetes können sich so in falscher Sicherheit wiegen - was auf Dauer zu Langzeitschäden führen kann.

Auch die Blutdruckmessung enttäuscht

Ebenfalls beworben wird die Messung des Blutdrucks. Die optische Messung des Blutdrucks könnte grundsätzlich sowohl zur Verlaufskontrolle insbesondere der weit verbreitenden Hypertonie als auch Screening sinnvoll sein und könnte als kontinuierliche Messung etwa Blutdruckspitzen erkennen. Die iHEAL 6 ist allerdings nicht in der Lage, sinnvolle Messwerte zu erzeugen.

iHEAL 6 Beurer BM27
Alle Angaben im mmHg
systolisch diastolisch systolisch diastolisch
117 78 140 75
127 84 131 72
117 78 150 69

Speziell die in der letzten Zeile gezeigten Werte sind auffällig. Die Differenz im systolischen Druck liegt dort bei 33 mmHg. Die iHEAL 6 zeigt hier noch einen optimalen Blutdruck an, das zertifizierte Messgerät schon eine milde Hypertonie. Wie bei der Blutzuckermessung ist bei der Blutdruckmessung, dass die iHEAL 6 ausschließlich physiologische Messwerte anzeigt.

Bei einer manuellen, zehnfachen Bestimmung mit der iHEAL 6 ergab sich für den systolischen Blutdruck ein Mittelwert von 117,9 mmHg - bei einer relativen Standardabweichung von nur 2,5 Prozent. Damit sind die Messwerte sehr präzise, aber präzise unrichtig und damit nicht genau, da der vom Messgerät erzeugte Referenzwert bei 150 mmHg lag.

EKG: Funktioniert und ist recht genau

Die EKG-Funktion der iHEAL 6 ist hingegen ordentlich. Das EKG bringt eine ausreichende Auflösung mit, um alle Merkmale eines typischen Elektrokardioramms zu sehen, so sind auch die P-Welle und die ST-Strecke erkennbar. Im optischen Vergleich zu durch die Apple Watch und der Samsung Galaxy Watch 4 Classic angefertigten EKGs ergibt sich definitiv keine schlechtere Ablesbarkeit. Die objektive Richtigkeit der Aufzeichnung konnten wir durch einen Vergleich mit der ersten Ableitung eines professionell angefertigten EKGs verifizieren. Mit ein wenig Akrobatik lassen sich sogar andere Ableitungen anfertigen, indem die Uhr etwa an das linke Bein gedrückt wird. Wie bereits beschrieben, können wir die computergestützte, automatische Auswertung in Ermangelung eines entsprechenden Probanden nicht einschätzen.

Die EGK-Aufzeichnung der iHEAL 6 ist ordentlich
Die EGK-Aufzeichnung der iHEAL 6 ist ordentlich
Als Vergleich ein EKG der Apple Watch...
Als Vergleich ein EKG der Apple Watch...
... und der Galaxy Watch 4 Classic (die beiden Vergleiche wurden durch eine andere Person angefertigt)
... und der Galaxy Watch 4 Classic (die beiden Vergleiche wurden durch eine andere Person angefertigt)

Fazit: Dreiste Werbeaussagen und ordentliches EKG

Die iHEAL 6 wird mit einem quasi bahnbrechenden Funktionsumfang geworben - und ist in der Praxis eine potenzielle Gesundheitsgefahr. Weder die Blutdruckmessung noch die Messung des Blutzuckerspiegels funktionieren unserer Analyse nach wie beworben, wodurch sich Kunden - da nur physiologische Messwerte angezeigt werden - in falscher und fataler Sicherheit wiegen können. Die EKG-Funktion ist hingegen ordentlich - zumindest die von uns bewertbare Aufzeichnung.

Offenlegung: Bei der Auswertung der EKG-Funktion wurde der Autor von einem cand. med. und Doktorand der Medizin unterstützt.

Preis und Verfügbarkeit

Die iHEAL 6 ist direkt beim Hersteller zu einem Preis von rund 50 Dollar erhältlich, die Verfügbarkeit im hiesigen Versandhandel ist noch nicht gegeben. Eine Alternative mit einer Blutdruckmessung mit Stützkalibrierung und einem zertifizierten EKG wären etwa die entsprechenden Galaxy Watch-Modelle von Samsung.

Transparenz

Das vorliegende Testmuster wurde dem Autor vom Hersteller oder einem Shop zu Testzwecken leihweise zur Verfügung gestellt. Eine Einflussnahme des Leihstellers auf den Testbericht gab es nicht, der Hersteller hat keine Version des Reviews vor der Veröffentlichung erhalten. Es bestand keine Verpflichtung zur Veröffentlichung.

 

Quelle(n)

Foto von Mockup Graphics auf Unsplash, Bild von Elias Tsolis auf Pixabay

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Autor: Silvio Werner, 23.02.2024 (Update: 24.02.2024)